31. Dezember 2012

„The International“ (2009, Tom Tykwer)

Meine Frau fand ihn langweilig. Mich hat er auch beim vierten Mal wieder gepackt. Tom Tykwers „The International“ erlebte bei seinem Erscheinen eine nicht geringe Resonanz, wirkte die Handlung doch gerade einmal drei Monate nach dem Ausbruch der Finanzkrise doch höchst aktuell. Auch wenn die Parallelen mit ein wenig Abstand betrachtet eigentlich doch nicht so offensichtlich sind, so gibt doch der Blick auf eine verbrecherische Bank und deren Machenschaften einen aussagekräftigen Kommentar über unser globalisiertes Wirtschaftssystem und unsere Hilflosigkeit darin ab. Übertreiben muss man die Interpretation aber trotzdem nicht: Zuallererst ist „The International“ einfach ein gut gemachter Thriller.

Clive Owen als Interpol-Agent und Naomi Watts als New Yorker Staatsanwältin – zwei von mir sehr geschätzte Schauspielende – zieht es darin von Berlin über Luxemburg, Mailand und New York schließlich nach Istanbul. Beeindruckend ist dabei nicht zuletzt die Kameraarbeit. Die Art, wie Tykwer und sein regulärer Kameramann Frank Griebe Architektur ins Bild setzen, erinnert stark an Michael Mann. Zu den Glanzstücken zählt definitiv ein spektakulärer Shootout im New Yorker Guggenheim Museum. Im besten Sinne ist „The International“ ein positiver (europäischer) Mix aus der „Bourne“-Reihe und den jüngsten „James Bond“-Filmen. Doch es wäre unfair, den Film auf Äußerlichkeiten zu reduzieren. Am Ende kann man nicht anders, als unzufrieden vor sich hin zu grübeln – ein beabsichtigter bitterer Nachgeschmack.

18. Dezember 2012

„7 Psychos“ (2012, Martin McDonagh)

In diesem Film laufen wahrlich einige labile Gestalten herum: Der in Hollywood ansässige irische Drehbuchautor Martin (Colin Farrell) hat außer einem Titel noch nicht viel für sein Drehbuch über sieben Psychopathen beisammen. Doch dann wird er unerwartet in die Probleme seines Freundes Billy (Sam Rockwell) hineingezogen, der gemeinsam mit Hans (Christopher Walken) den Hund von Gangster Charlie (Woody Harrelson) entführt hat.

„7 Psychos“, in dem außerdem noch Tom Waits, Željko Ivanek und Harry Dean Stanton zu sehen sind, steht in einer Tradition von großartig wirren Filmen über das Drehbuchschreiben, die von „Sunset Boulevard“ über „Barton Fink“ und „Schnappt Shorty“ hin zu „Adaption.“ reicht und reiht sich damit auch in die noch größere Zahl selbstreflexiver Filme über das Filmbusiness (über die ich an anderer Stelle bereits geschrieben habe) ein. Der Film stammt aus der Regie und der Feder des irischen Dramatikers Martin McDonagh (man achte auf den Vornamen!), der dem Kino vor vier Jahren „Brügge sehen … und sterben?“ (2008; ebenfalls mit Farrell) beschert hat. An diesen seinen ersten Spielfilm reicht „7 Psychos“ zwar nicht ganz heran, er teilt mit dem Vorgänger aber die wunderbar treffliche Charakterisierung einer Ansammlung skurriler Individuen. Die eine oder andere Länge wird dabei durch ein Feuerwerk an coolen Sprüchen und eine Menge falsches Blut wettgemacht. Schauen Sie sich diesen Film an.

11. Dezember 2012

„Killing Them Softly“ (2012, Andrew Dominik)

New Orleans, 2008: Zwei Kleinkriminelle (Scoot McNairy, Ben Mendelsohn) überfallen im Auftrag eines dritten (Vincent Curatola) die illegale Poker-Runde von Markie Trattman (Ray Liotta). Zwecks Aufklärung und Vergeltung heuern die Mafia-Bosse über einen Mittelsmann (Richard Jenkins) den Killer Jackie Cogan (Brad Pitt) an, der zu seiner Unterstützung auch noch seinen Kollegen Mickey Fallon (James Gandolfini) aus New York einfliegen lässt.

Der australische Regisseur Andrew Dominik sorgte mit seinem letzten Film „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ (2007) für Aufsehen bei den Filmfestspielen in Venedig; nun hat er sich für seinen dieses Jahr in Cannes präsentierten dritten Spielfilm „Killing Them Softly“ erneut mit Hauptdarsteller Brad Pitt zusammengetan, der von Film zu Film seine Kritiker immer mehr Lügen straft und meiner Meinung nach inzwischen auch schauspielerisch definitiv zur Elite zu zählen ist. Thema des Films ist trotz seines vordergründigen Settings im Gangstermilieu eigentlich das politisch-wirtschaftliche System der USA, das Business America; man könnte die Handlung sogar als Parabel über die Finanzkrise und die Krise der Vereinigten Staaten allgemein lesen, worauf auch die immer wieder zu hörenden Reden des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama hindeuten. Ich glaube an Amerika – mit diesen Worten begann einst eine andere große Erzählung über das organisierte Verbrechen.

Abseits dieser großen und vielleicht auch etwas gewagten Interpretationen ist „Killing Them Softly“ eine Mischung aus Quentin Tarantino (vor allem „Reservoir Dogs“ und „Natural Born Killers“, für welchen dieser das Drehbuch schrieb), Elmore Leonard (Vorlagen zu „Schnappt Shorty“ und „Out of Sight“) und den „Sopranos“ (eine Assoziation, die zum Teil natürlich auch Gandolfini geschuldet ist). Mit anderen Worten: „Killing Them Softly“ ist ein Muss.

„Argo“ (2012, Ben Affleck)

Ben Afflecks drittes Regiestück „Argo“ beginnt mit einer sehr ruhigen und zugleich neutralen Einführung in die Geschichte des Iran im 20. Jahrhundert mit Comics im Stile Marjane Satrapis („Persepolis“). Ab hier ist bereits klar, dass dies kein 08/15-Film über die guten USA und den bösen Iran wird, sondern dass es in ihm manch unterschiedliche Schattierungen geben wird. „Argo“ erzählt eine wahre Geschichte:

Iran, 1979: Nach der Islamischen Revolution fordert die Bevölkerung die Auslieferung des in die USA geflüchteten Schahs. In einem von Studenten angeführten Aufruhr werden die amerikanische Botschaft in Teheran gestürmt und die Botschaftsangehörigen als Geiseln genommen. Unbemerkt können sich jedoch sechs Personen in die Residenz des kanadischen Botschafters flüchten, wo sie versteckt auf ihre Heimholung hoffen müssen, während ihnen bei einer Entdeckung die Todesstrafe droht. Beim CIA ist man derweil über die Vorgehensweise ratlos, bis der Spezialist für Geheimoperationen Tony Mendez (Affleck) einen gewagten Plan entwickelt: Mithilfe von Vertrauensmännern in Hollywood (John Goodman, Alan Arkin) soll ein Science-Fiction-Filmprojekt fingiert werden, für welches Drehortbesichtigungen im Iran notwendig sind; die sechs Botschaftsmitarbeiter sollen mit falschen Identitäten als Filmcrew vor aller Augen ausgeflogen werden.

Die Geiselnahme von Teheran, die insgesamt 444 Tage dauerte, ist eines der nationalen Traumata der USA, wenngleich es durch 9/11 ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Affleck gelingt mit seinem Film, das ganz konkrete Bedrohungsszenario im Iran ebenso wie die allgemeine Stimmung im Heimatland gut einzufangen. Dabei behilflich ist ihm eine Reihe exzellenter Schauspieler, unter denen neben Goodman und Arkin wie schon öfter vor allem Bryan Cranston („Malcolm mittendrin“, „Breaking Bad“) als Mendez’ CIA-Vorgesetzter hervorragt. Wie bei solchen auf wahren Begebenheiten beruhenden Filmen inzwischen schon gängig, wird mit einem gezielten Casting und der Nachstellung ikonisch gewordener Bilder ein Wirklichkeitsanspruch erhoben, der so manchmal nicht unbedingt angenommen werden darf, und auch „Argo“ kommt nicht um die fast schon unumgängliche Applaus-Szene und die wehenden Stars and Stripes am Ende umhin. Doch selbst diese Szenen sind weit subtiler als die Kost, die einem von Hollywood meist vorgesetzt wird. Wenn aber auch die Beurteilung der politischen Umstände durch die Filmmacher (zu denen als Produzenten auch George Clooney und Grant Heslov zählen) manchmal problematisch erscheinen mag und international bereits für den einen oder anderen Eklat gesorgt hat, so darf man meiner Meinung nach bei einem Film wie dem diesen nicht vergessen, dass es sich um einen Spielfilm und nicht um eine Dokumentation handelt. „Argo“ ist ein Polit- bzw. Spionage-Thriller, versetzt mit einer Prise Komödie (quasi in Umkehrung des „Wag the Dog“-Szenarios), und diese Rolle spielt er hervorragend. Zudem ist er trotz mancher geringer Schwächen ein absolut empfehlenswerter Film über einen Aspekt der Zeitgeschichte, dem auch für das Jetzt eine Aussagekraft innewohnt.

2. Dezember 2012

„Cloud Atlas“ (2012, Tom Tykwer, Andy Wachowski, Lana Wachowski)

Mit knapp drei Stunden ist „Cloud Atlas“ für das in erster Linie avisierte Mainstream-Publikum ein ziemlicher Brocken. Doch langweilig wird dieses Gemeinschaftsunterfangen Tom Tykwers und der Wachowski-Geschwister („Matrix“-Trilogie) dank mehrerer gut erzählter Parallelhandlungen eigentlich nicht. Die im vorauseilenden Gehorsam zu Beginn des Films erbetene Nachsicht für die Komplexität der Handlung ist eigentlich nicht notwendig, wenngleich es an dieser Stelle schon schwierig ist, die einzelnen Zeitebenen jeweils nur kurz anzureißen: 1849, Südsee: Der junge Anwalt Adam Ewing lernt auf einer Handelsmission zu einer Sklavenplantage den Arzt Henry Goose kennen. Auf der Rückreise erkrankt er auf dem Schiff schwer. 1936, Schottland: Der angehende Komponist Robert Frobisher, aufgrund seiner Homosexualität von seiner Familie verstoßen, fristet sein Dasein als Assistent des einfallslos gewordenen Meisters Vyvyan Ayrs. 1973, San Francisco: Die Journalistin Luisa Rey versucht, den Machenschaften eines Atomenergiekonzerns auf die Schliche zu kommen. 2012, Großbritannien: Der erfolglose Verleger Timothy Cavendish tappt von einer Katastrophe in die nächste. 2144, Neo-Seoul: Sonmi~451, ein Klon, ist eine Arbeitssklavin in einem Restaurant, bis sie eines Tages durch den Rebellen Hae-Joo Chang befreit wird. 2346: In einer postapokalyptischen Endzeit prallen die Lebenswelten des primitiven Hirten Zachary und der hochentwickelten Prescient Meronym aufeinander.

Eine der Kernaussagen des Films ist Alles ist verbunden, weshalb sämtliche tragenden Rollen (und auch eine Reihe von Statisteneinsätzen) von den immer gleichen Schauspielern übernommen werden: Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Hugo Weaving, Jim Sturgess, Doona Bae, Ben Whishaw, James D’Arcy, Susan Sarandon und (für die Komik zuständig) Hugh Grant. Die herausragendste Leistung in diesem durchwegs hervorragend agierenden Ensemble bietet mit Sicherheit Whishaw (u.a. „Das Parfum“, zuletzt Q in „Skyfall“), der inzwischen überreif für eine wirklich große Rolle ist. Die eigentliche Großtat liefern jedoch die Maskenbildner ab, die den Zuschauer bis zum Abspann über die Personen hinter manchen Figuren im Ungewissen lassen.

Den unterschiedlichen Handlungssträngen sieht man zwar an, wer jeweils für die Regie verantwortlich zeichnet, und im direkten Vergleich hat wenig überraschend Tykwer die Nase deutlich vorne, doch man sollte sich von der zunächst abschreckend wirkenden Mischung aus Kostümfilm, Gesellschaftskomödie und Science fiction nicht irritieren lassen. Das esoterische Schnickschnack, das dem Film übergestülpt ist, brauche ich persönlich nicht, aber die einzelnen Erzählstränge, deren Verwobenheit man genüsslich nachstöbert, sind für sich absolut gut gemacht und durch die hervorragende Montage wirklich sehenswert.

„Cheyenne – This Must Be the Place“ (2011, Paolo Sorrentino)

Cheyenne (Sean Penn) ist ein gealterter Rock-Star, ein Goth aus den 1980ern, der der Musik aufgrund eines traumatischen Ereignisses zwar für immer abgeschworen hat, äußerlich aber noch nicht im Jetzt angekommen ist. In einer Dubliner Villa lebt er mit seiner Frau Jane (Frances McDormand) zurückgezogen, bis der Tod seines Vaters, mit dem er dreißig Jahre keinen Kontakt hatte, ihn nach New York zurückführt. Anstelle seines Vaters, eines Auschwitz-Überlebenden, begibt er sich auf eine Suche quer durch die Vereinigten Staaten.

„This Must Be the Place“ – so lautet der Titel eines der größten Hits der 80er-New Wave-Band Talking Heads, deren Mastermind David Byrne auch heute noch mit seinen Kompositionen und Projekten für Aufsehen sorgt. Das Lied, das in zigfachen Interpretationen den ganzen Film hindurch zu hören ist und diesem auch seinen Namen leiht, ist Programm für Cheyennes Suche nach einem Ort, den man Heimat nennen kann. Es gibt dem Zuschauer aber auch Halt in den Momenten, in denen der Film auch schwierig werden kann. Die für Regisseur Paolo Sorrentino („Il Divo“) typische Art, die Handlung in Szene zu setzen, ist nicht jedermanns Sache, wenngleich die Bildgestaltung wirklich ein Glanzlicht ist.

Sorrentino arbeitet stark mit Verkürzung. Dieser Film ist definitiv sehenswert, aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie am Ende das Gefühl haben, nichts verstanden zu haben.