31. Dezember 2012

„The International“ (2009, Tom Tykwer)

Meine Frau fand ihn langweilig. Mich hat er auch beim vierten Mal wieder gepackt. Tom Tykwers „The International“ erlebte bei seinem Erscheinen eine nicht geringe Resonanz, wirkte die Handlung doch gerade einmal drei Monate nach dem Ausbruch der Finanzkrise doch höchst aktuell. Auch wenn die Parallelen mit ein wenig Abstand betrachtet eigentlich doch nicht so offensichtlich sind, so gibt doch der Blick auf eine verbrecherische Bank und deren Machenschaften einen aussagekräftigen Kommentar über unser globalisiertes Wirtschaftssystem und unsere Hilflosigkeit darin ab. Übertreiben muss man die Interpretation aber trotzdem nicht: Zuallererst ist „The International“ einfach ein gut gemachter Thriller.

Clive Owen als Interpol-Agent und Naomi Watts als New Yorker Staatsanwältin – zwei von mir sehr geschätzte Schauspielende – zieht es darin von Berlin über Luxemburg, Mailand und New York schließlich nach Istanbul. Beeindruckend ist dabei nicht zuletzt die Kameraarbeit. Die Art, wie Tykwer und sein regulärer Kameramann Frank Griebe Architektur ins Bild setzen, erinnert stark an Michael Mann. Zu den Glanzstücken zählt definitiv ein spektakulärer Shootout im New Yorker Guggenheim Museum. Im besten Sinne ist „The International“ ein positiver (europäischer) Mix aus der „Bourne“-Reihe und den jüngsten „James Bond“-Filmen. Doch es wäre unfair, den Film auf Äußerlichkeiten zu reduzieren. Am Ende kann man nicht anders, als unzufrieden vor sich hin zu grübeln – ein beabsichtigter bitterer Nachgeschmack.

18. Dezember 2012

„7 Psychos“ (2012, Martin McDonagh)

In diesem Film laufen wahrlich einige labile Gestalten herum: Der in Hollywood ansässige irische Drehbuchautor Martin (Colin Farrell) hat außer einem Titel noch nicht viel für sein Drehbuch über sieben Psychopathen beisammen. Doch dann wird er unerwartet in die Probleme seines Freundes Billy (Sam Rockwell) hineingezogen, der gemeinsam mit Hans (Christopher Walken) den Hund von Gangster Charlie (Woody Harrelson) entführt hat.

„7 Psychos“, in dem außerdem noch Tom Waits, Željko Ivanek und Harry Dean Stanton zu sehen sind, steht in einer Tradition von großartig wirren Filmen über das Drehbuchschreiben, die von „Sunset Boulevard“ über „Barton Fink“ und „Schnappt Shorty“ hin zu „Adaption.“ reicht und reiht sich damit auch in die noch größere Zahl selbstreflexiver Filme über das Filmbusiness (über die ich an anderer Stelle bereits geschrieben habe) ein. Der Film stammt aus der Regie und der Feder des irischen Dramatikers Martin McDonagh (man achte auf den Vornamen!), der dem Kino vor vier Jahren „Brügge sehen … und sterben?“ (2008; ebenfalls mit Farrell) beschert hat. An diesen seinen ersten Spielfilm reicht „7 Psychos“ zwar nicht ganz heran, er teilt mit dem Vorgänger aber die wunderbar treffliche Charakterisierung einer Ansammlung skurriler Individuen. Die eine oder andere Länge wird dabei durch ein Feuerwerk an coolen Sprüchen und eine Menge falsches Blut wettgemacht. Schauen Sie sich diesen Film an.

11. Dezember 2012

„Killing Them Softly“ (2012, Andrew Dominik)

New Orleans, 2008: Zwei Kleinkriminelle (Scoot McNairy, Ben Mendelsohn) überfallen im Auftrag eines dritten (Vincent Curatola) die illegale Poker-Runde von Markie Trattman (Ray Liotta). Zwecks Aufklärung und Vergeltung heuern die Mafia-Bosse über einen Mittelsmann (Richard Jenkins) den Killer Jackie Cogan (Brad Pitt) an, der zu seiner Unterstützung auch noch seinen Kollegen Mickey Fallon (James Gandolfini) aus New York einfliegen lässt.

Der australische Regisseur Andrew Dominik sorgte mit seinem letzten Film „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ (2007) für Aufsehen bei den Filmfestspielen in Venedig; nun hat er sich für seinen dieses Jahr in Cannes präsentierten dritten Spielfilm „Killing Them Softly“ erneut mit Hauptdarsteller Brad Pitt zusammengetan, der von Film zu Film seine Kritiker immer mehr Lügen straft und meiner Meinung nach inzwischen auch schauspielerisch definitiv zur Elite zu zählen ist. Thema des Films ist trotz seines vordergründigen Settings im Gangstermilieu eigentlich das politisch-wirtschaftliche System der USA, das Business America; man könnte die Handlung sogar als Parabel über die Finanzkrise und die Krise der Vereinigten Staaten allgemein lesen, worauf auch die immer wieder zu hörenden Reden des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama hindeuten. Ich glaube an Amerika – mit diesen Worten begann einst eine andere große Erzählung über das organisierte Verbrechen.

Abseits dieser großen und vielleicht auch etwas gewagten Interpretationen ist „Killing Them Softly“ eine Mischung aus Quentin Tarantino (vor allem „Reservoir Dogs“ und „Natural Born Killers“, für welchen dieser das Drehbuch schrieb), Elmore Leonard (Vorlagen zu „Schnappt Shorty“ und „Out of Sight“) und den „Sopranos“ (eine Assoziation, die zum Teil natürlich auch Gandolfini geschuldet ist). Mit anderen Worten: „Killing Them Softly“ ist ein Muss.

„Argo“ (2012, Ben Affleck)

Ben Afflecks drittes Regiestück „Argo“ beginnt mit einer sehr ruhigen und zugleich neutralen Einführung in die Geschichte des Iran im 20. Jahrhundert mit Comics im Stile Marjane Satrapis („Persepolis“). Ab hier ist bereits klar, dass dies kein 08/15-Film über die guten USA und den bösen Iran wird, sondern dass es in ihm manch unterschiedliche Schattierungen geben wird. „Argo“ erzählt eine wahre Geschichte:

Iran, 1979: Nach der Islamischen Revolution fordert die Bevölkerung die Auslieferung des in die USA geflüchteten Schahs. In einem von Studenten angeführten Aufruhr werden die amerikanische Botschaft in Teheran gestürmt und die Botschaftsangehörigen als Geiseln genommen. Unbemerkt können sich jedoch sechs Personen in die Residenz des kanadischen Botschafters flüchten, wo sie versteckt auf ihre Heimholung hoffen müssen, während ihnen bei einer Entdeckung die Todesstrafe droht. Beim CIA ist man derweil über die Vorgehensweise ratlos, bis der Spezialist für Geheimoperationen Tony Mendez (Affleck) einen gewagten Plan entwickelt: Mithilfe von Vertrauensmännern in Hollywood (John Goodman, Alan Arkin) soll ein Science-Fiction-Filmprojekt fingiert werden, für welches Drehortbesichtigungen im Iran notwendig sind; die sechs Botschaftsmitarbeiter sollen mit falschen Identitäten als Filmcrew vor aller Augen ausgeflogen werden.

Die Geiselnahme von Teheran, die insgesamt 444 Tage dauerte, ist eines der nationalen Traumata der USA, wenngleich es durch 9/11 ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Affleck gelingt mit seinem Film, das ganz konkrete Bedrohungsszenario im Iran ebenso wie die allgemeine Stimmung im Heimatland gut einzufangen. Dabei behilflich ist ihm eine Reihe exzellenter Schauspieler, unter denen neben Goodman und Arkin wie schon öfter vor allem Bryan Cranston („Malcolm mittendrin“, „Breaking Bad“) als Mendez’ CIA-Vorgesetzter hervorragt. Wie bei solchen auf wahren Begebenheiten beruhenden Filmen inzwischen schon gängig, wird mit einem gezielten Casting und der Nachstellung ikonisch gewordener Bilder ein Wirklichkeitsanspruch erhoben, der so manchmal nicht unbedingt angenommen werden darf, und auch „Argo“ kommt nicht um die fast schon unumgängliche Applaus-Szene und die wehenden Stars and Stripes am Ende umhin. Doch selbst diese Szenen sind weit subtiler als die Kost, die einem von Hollywood meist vorgesetzt wird. Wenn aber auch die Beurteilung der politischen Umstände durch die Filmmacher (zu denen als Produzenten auch George Clooney und Grant Heslov zählen) manchmal problematisch erscheinen mag und international bereits für den einen oder anderen Eklat gesorgt hat, so darf man meiner Meinung nach bei einem Film wie dem diesen nicht vergessen, dass es sich um einen Spielfilm und nicht um eine Dokumentation handelt. „Argo“ ist ein Polit- bzw. Spionage-Thriller, versetzt mit einer Prise Komödie (quasi in Umkehrung des „Wag the Dog“-Szenarios), und diese Rolle spielt er hervorragend. Zudem ist er trotz mancher geringer Schwächen ein absolut empfehlenswerter Film über einen Aspekt der Zeitgeschichte, dem auch für das Jetzt eine Aussagekraft innewohnt.

2. Dezember 2012

„Cloud Atlas“ (2012, Tom Tykwer, Andy Wachowski, Lana Wachowski)

Mit knapp drei Stunden ist „Cloud Atlas“ für das in erster Linie avisierte Mainstream-Publikum ein ziemlicher Brocken. Doch langweilig wird dieses Gemeinschaftsunterfangen Tom Tykwers und der Wachowski-Geschwister („Matrix“-Trilogie) dank mehrerer gut erzählter Parallelhandlungen eigentlich nicht. Die im vorauseilenden Gehorsam zu Beginn des Films erbetene Nachsicht für die Komplexität der Handlung ist eigentlich nicht notwendig, wenngleich es an dieser Stelle schon schwierig ist, die einzelnen Zeitebenen jeweils nur kurz anzureißen: 1849, Südsee: Der junge Anwalt Adam Ewing lernt auf einer Handelsmission zu einer Sklavenplantage den Arzt Henry Goose kennen. Auf der Rückreise erkrankt er auf dem Schiff schwer. 1936, Schottland: Der angehende Komponist Robert Frobisher, aufgrund seiner Homosexualität von seiner Familie verstoßen, fristet sein Dasein als Assistent des einfallslos gewordenen Meisters Vyvyan Ayrs. 1973, San Francisco: Die Journalistin Luisa Rey versucht, den Machenschaften eines Atomenergiekonzerns auf die Schliche zu kommen. 2012, Großbritannien: Der erfolglose Verleger Timothy Cavendish tappt von einer Katastrophe in die nächste. 2144, Neo-Seoul: Sonmi~451, ein Klon, ist eine Arbeitssklavin in einem Restaurant, bis sie eines Tages durch den Rebellen Hae-Joo Chang befreit wird. 2346: In einer postapokalyptischen Endzeit prallen die Lebenswelten des primitiven Hirten Zachary und der hochentwickelten Prescient Meronym aufeinander.

Eine der Kernaussagen des Films ist Alles ist verbunden, weshalb sämtliche tragenden Rollen (und auch eine Reihe von Statisteneinsätzen) von den immer gleichen Schauspielern übernommen werden: Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Hugo Weaving, Jim Sturgess, Doona Bae, Ben Whishaw, James D’Arcy, Susan Sarandon und (für die Komik zuständig) Hugh Grant. Die herausragendste Leistung in diesem durchwegs hervorragend agierenden Ensemble bietet mit Sicherheit Whishaw (u.a. „Das Parfum“, zuletzt Q in „Skyfall“), der inzwischen überreif für eine wirklich große Rolle ist. Die eigentliche Großtat liefern jedoch die Maskenbildner ab, die den Zuschauer bis zum Abspann über die Personen hinter manchen Figuren im Ungewissen lassen.

Den unterschiedlichen Handlungssträngen sieht man zwar an, wer jeweils für die Regie verantwortlich zeichnet, und im direkten Vergleich hat wenig überraschend Tykwer die Nase deutlich vorne, doch man sollte sich von der zunächst abschreckend wirkenden Mischung aus Kostümfilm, Gesellschaftskomödie und Science fiction nicht irritieren lassen. Das esoterische Schnickschnack, das dem Film übergestülpt ist, brauche ich persönlich nicht, aber die einzelnen Erzählstränge, deren Verwobenheit man genüsslich nachstöbert, sind für sich absolut gut gemacht und durch die hervorragende Montage wirklich sehenswert.

„Cheyenne – This Must Be the Place“ (2011, Paolo Sorrentino)

Cheyenne (Sean Penn) ist ein gealterter Rock-Star, ein Goth aus den 1980ern, der der Musik aufgrund eines traumatischen Ereignisses zwar für immer abgeschworen hat, äußerlich aber noch nicht im Jetzt angekommen ist. In einer Dubliner Villa lebt er mit seiner Frau Jane (Frances McDormand) zurückgezogen, bis der Tod seines Vaters, mit dem er dreißig Jahre keinen Kontakt hatte, ihn nach New York zurückführt. Anstelle seines Vaters, eines Auschwitz-Überlebenden, begibt er sich auf eine Suche quer durch die Vereinigten Staaten.

„This Must Be the Place“ – so lautet der Titel eines der größten Hits der 80er-New Wave-Band Talking Heads, deren Mastermind David Byrne auch heute noch mit seinen Kompositionen und Projekten für Aufsehen sorgt. Das Lied, das in zigfachen Interpretationen den ganzen Film hindurch zu hören ist und diesem auch seinen Namen leiht, ist Programm für Cheyennes Suche nach einem Ort, den man Heimat nennen kann. Es gibt dem Zuschauer aber auch Halt in den Momenten, in denen der Film auch schwierig werden kann. Die für Regisseur Paolo Sorrentino („Il Divo“) typische Art, die Handlung in Szene zu setzen, ist nicht jedermanns Sache, wenngleich die Bildgestaltung wirklich ein Glanzlicht ist.

Sorrentino arbeitet stark mit Verkürzung. Dieser Film ist definitiv sehenswert, aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie am Ende das Gefühl haben, nichts verstanden zu haben.

24. November 2012

„Cold Blood – Kein Ausweg. Keine Gnade.“ (2012, Stefan Ruzowitzky)

Im Vorfeld hat man immer wieder den Vergleich mit „Fargo“ (1996) gehört, doch zwischen dem Film der Coen-Brüder und Stefan Ruzowitzkys Hollywood-Debüt „Cold Blood“ – der im Original sinnigerweise nicht so sondern „Deadfall“ heißt – liegen Welten, sieht man einmal von der schneeweißen Landschaft ab. Ich persönlich fühlte mich ein wenig an Terrence Malicks Klassiker „Badlands“ (1973) bzw. Oliver Stones Hommage „Natural Born Killers“ (1994) erinnert, doch auch hier sind die Niveauunterschiede unübersehbar.

Die Geschwister Addison (Eric Bana) und Liza (Olivia Wilde) überleben nach einem geglückten Raubüberfall einen schweren Autounfall in der winterlichen Landschaft des Nordens der USA nahe der kanadischen Grenze. Er schlägt sich alleine durch den Wald durch, sie wird vom eben aus dem Gefängnis entlassenen Ex-Boxer Jay (Charlie Hunnam) aufgegabelt, der unterwegs zu seinen Eltern Chet (Kris Kristofferson) und June (Sissy Spacek, die mit „Badlands“ ihren Durchbruch hatte) ist. Den Verbrechern auf der Spur sind Sheriff Becker (Treat Williams) und die Polizistin Hannah (Kate Mara), seine Tochter.

„Cold Blood“ ist ein Film, dem man seine guten Absichten ansieht und der auch Potential hätte. Allein, er ist nicht gut umgesetzt. Die Handlungsstränge strotzen vor Klischees und die Dialoge sind teilweise grottenschlecht. Dass die deutsche Synchronfassung (ja, ich weiß …) obendrein furchtbar umgesetzt ist, wofür man allerdings dem Regisseur ausnahmsweise keinen Vorwurf machen kann, tut das Restliche (Eric Bana, der einen sehr zwielichtigen Charakter spielt, spricht mit der Malibu-Strandhaus-Stimme Charlie Sheens).

Da der Film gegen Ende dann überraschenderweise doch noch ein wenig spannend wird, ist er in meinen Augen nicht ganz schlecht – aber „Cold Blood“ ist nichts, was man unbedingt gesehen haben muss.

18. November 2012

„Un amour de jeunesse“ (2011, Mia Hansen-Løve)

Irgendwann in der zweiten Hälfte des Films kommt die Protagonistin mit ihrer Jugendliebe aus einem Kino. Er bezeichnet den gesehenen Film als typisch französisch: es wird nur geredet und es gibt viel zu viele stille Sequenzen, in denen gar nichts passiert. Sie attestiert ihm, den Film nicht verstanden zu haben. Beide Einschätzungen werden als legitim dargestellt. Der oder die eine kann etwas mit dem Film anfangen, jemand anderer wiederum nicht. Vielleicht ist mein Urteil ja getrübt, weil ich die junge französische Regisseurin Mia Hansen-Løve bereits in zwei Publikumsgesprächen als höchst sympathische Person erleben durfte und auch schon einen freundlichen Briefwechsel mit ihr hatte: Ich begebe mich aber mit Überzeugung in das Lager derer, die ihren dritten Spielfilm „Un amour de jeunesse“ als sehenswert einstufen!

In der ersten Hälfte des Films sehen wir die Höhen und Tiefen der Liebesbeziehung zwischen der fünfzehnjährigen Schülerin Camille (sehr mutig: Lola Créton) und dem etwas älteren Studenten Sullivan (Sebastian Urzendowsky). In der zweiten Hälfte erleben wir das langsame Heranreifen Camilles als Architekturstudentin, unterstützt durch ihren norwegischen Lehrer Lorenz (Magne Håvard Brekke), und ihre Emanzipation als junge Architektin.

Hansen-Løve hat selbst keinen Zweifel daran gelassen, dass „Un amour de jeunesse“ wie schon ihre beiden ersten Filme, aber diesmal noch viel intensiver, voll von autobiographischen Elementen ist – eigentlich müsste man lediglich Architektur durch Film ersetzen. Auch die Beziehung zu einem deutlich älteren Mann – Hansen-Løve ist mit Regisseur Olivier Assayas liiert – ist ihrem eigenen Leben entnommen. Ein Problem, dass ich mit dem Film habe, ist das in Literatur und Film omnipräsente Thema der verbotenen Liebe. Warum ist eine Affäre, die auf Betrug aufbaut und dazu geschaffen ist, eine andere Liebesbeziehung zu zerstören, in unserer Gesellschaft angeblich etwas so Romantisches? Dieses Element hätte mir den Film fast verdorben. Die Regisseurin hat ihre drei bisherigen Filme als eine Art Trilogie bezeichnet, in der es vordergründig um das Erwachsenwerden geht, das eigentliche Hauptthema allerdings das Erlangen von Freiheit ist. Eben diese Befreiung der Protagonistin war es, die mich letztendlich jedoch wieder versöhnlich gestimmt hat.

„Un amour de jeunesse“ hat in Österreich im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern leider keinen regulären Kinostart erleben dürfen. Ich selbst durfte den Film bei der ersten seiner einzigen beiden Vorstellungen im Filmmuseum erleben. Wer jedoch die Chance haben sollte, sich den Film auf anderem Wege anzusehen, sollte dies auch tun!

11. November 2012

„Skyfall“ (2012, Sam Mendes)

Derzeit kann man sich James Bond ja nicht entziehen, und da ich ohnedies ein Fan der Reihe bin (Wer eigentlich nicht?), zog es mich letzte Woche zu „Skyfall“ ins Kino. Ungefähr nach der Hälfte des Films dachte ich mir „Okay, das ist wohl der schwächste der drei Craig-Bondfilme“ – und das will nach „Ein Quantum Trost“ etwas heißen! Gottseidank wurde ich in der zweiten Hälfte eines besseren belehrt. Die häufig zu lesende Etikettierung als bester Bond seit langem kann ich allerdings nicht nachvollziehen.

James Bond (Daniel Craig), Olympia-erprobter Agent Ihrer Majestät, wird im Teaser von friendly fire getroffen und daraufhin von M (Judi Dench) als gefallen vermutet. Überraschenderweise – oder doch nicht? – ist er jedoch gar nicht tot und meldet sich auch wieder zum Dienst, als der MI6 vom ehemaligen Agenten Raoul Silva (ein nicht wirklich überzeugender Javier Bardem) angegriffen wird.

Wie bei Bondfilmen üblich, macht die prinzipiell nicht allzu komplizierte Handlung einige Schwenks, deren Sinnhaftigkeit sich nicht immer unmittelbar erschließen (Muss James Bond wirklich um jeden Preis in einem gläsernen Wolkenkratzer oder einem asiatischen Kasino verkehren?). Vor allem aber steht „Skyfall“ unter dem Eindruck des fünfzigjährigen Jubiläums; das sich in verschiedenen Facetten wiederfindende Hauptthema ist der Umgang mit Alter und Tradition. Aus Freude über die vielfältigen Anspielungen auf frühere Filme der Reihe verzeiht man ihm auch, dass es gerade erst zwei Filme her ist, dass Bonds Genese gezeigt wurde, während dieser jetzt als abgehalftertes Auslaufmodel präsentiert wird. Dieses Hauptthema, gepaart mit einigen gut gemachten Actionsequenzen (unter anderem mit dem wunderbaren Albert Finney), ist es auch, was den Film letztendlich rettet – ja, ihn sogar noch sehenswert macht. Dies ist wohl nicht zuletzt Regisseur Sam Mendes zu verdanken, der – vielleicht mehr als jene anderer Filme der Reihe – für ein gewisses Maß an Qualität steht.

Ben Whishaw als neuer Q und vor allem Ralph Fiennes als Geheimdienstkoordinator Gareth Mallory (dessen Rolle sich mir anfangs noch nicht erschloss, dann aber vielleicht früher als vorgesehen klar war) machen jedenfalls auch Lust auf noch kommende Bonds. Daniel Craig hat zumindest schon für zwei weitere Einsätze unterschrieben.

4. November 2012

„Der Pate“ (1972, Francis Ford Coppola), „Der Pate – Teil II“ (1974, Francis Ford Coppola), „Der Pate – Teil III“ (1990, Francis Ford Coppola)

Es gibt wenige Filme, die ich so häufig gesehen habe, wie Francis Ford Coppolas drei Filme der „Pate“-Trilogie. Die ersten beiden Teile zählen zu meinen persönlichen Top 3 (neben Michael Manns „Heat“ (1995)). In meiner Jugend waren sie es wohl, die mein Interesse für den Film als Kunstform geweckt haben. Gleichzeitig habe ich sie in den unterschiedlichsten Situationen gesehen: auf Deutsch, im englischen Original, am Silvesterabend mit Kommentar des Regisseurs; den ersten Teil habe ich sogar am Vorabend meiner Hochzeit geschaut. Nach einem Sommer voller Bestenlisten und den daraus resultierenden Fragwürdigkeiten war ich nun gespannt, ob sich meine Wert- bzw. Einschätzung der beiden früheren Filme möglicherweise zum Schlechteren geändert haben könnte. Oder ob ich gar plötzlich mit Teil III mehr anfangen können würde! Immerhin haben sich meine Sehgewohnheiten in den letzten Jahren deutlich geändert. Konnte ich früher nur sagen „ein Film gefällt mir gut“ oder „ein Film gefällt mir schlecht“, habe ich es in den letzten Jahren mit meinen bescheidenen Mitteln doch zumindest versucht, analytisch an Filme heranzugehen. So kam es vor zwei Wochen zu einem Showdown zwischen mir und den drei „Pate“-Filmen. Und was soll ich sagen? „Der Pate“ und „Der Pate – Teil II“ haben wie zu erwarten war obsiegt. Teil III hingegen ist wenig überraschend stehend K.O. gegangen.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es noch Menschen gibt, die diese Filme noch nicht gesehen haben, ein kurzer Überblick darüber, worum es geht: Im ersten Teil lernen wir im Jahr 1945 den italo-amerikanischen Mafioso Vito Corleone (Marlon Brando) kennen, von Freunden wie Untergebenen ehrfurchtsvoll Pate genannt. Er ist das Oberhaupt einer der einflussreichen New Yorker Mafiafamilien, die uns in einer der großartigsten Anfangssequenzen der Filmgeschichte Person für Person vorgestellt wird. Da gibt es die gütige Mama Carmela (Morgana King); den jähzornigen und sexuell umtriebigen ältesten Sohn Sonny (James Caan); den gutherzigen aber etwas einfachen mittleren Sohn Fredo (John Cazale); den eben aus dem Krieg heimgekehrten jüngsten Sohn Michael (Al Pacino), der sich von den Machenschaften seiner Familie distanzieren möchte; seine blauäugige Freundin Kay Adams (Diane Keaton); die frischvermählte Tochter Connie (Talia Shire) und ihren Ehemann Carlo Rizzi (Gianni Russo); den Adoptivsohn Tom Hagen (Robert Duvall), Anwalt und Consigliere der Familie; die beiden Capos, den lebenslustigen Peter Clemenza (Richard S. Castellano) und den ruhigeren Sal Tessio (Abe Vigoda). Während sich die Handlung des Films entwickelt, erleben wir die Schicksalsschläge und die Umstände, die den eigentlich für eine Karriere außerhalb der Mafia vorgesehenen Michael zusehends in die Rolle des Nachfolgers drängen.

In Teil II hat Michael im Jahr 1958 im Bemühen um Legalität das Zentrum der Familie Corleone nach Nevada verlegt. Neue Handelnde sind die Capos Al Neri (Richard Bright), Rocco Lampone (Tom Rosqui) und Frank Pentangeli (Michael V. Gazzo) sowie der jüdische Gangster Hyman Roth (Lee Strasberg). Parallel zu Unternehmungen in Kuba am Vorabend der Revolution sind Rückblenden auf den Werdegang des jungen Vito (Robert De Niro) – teilweise genial – montiert.

Teil III zeigt einen gealterten Michael im Jahr 1979, der bemüht ist, seine Familie durch Geschäfte mit dem Vatikan reinzuwaschen. Neu treten seine erwachsenen Kinder Anthony (Franc D’Ambrosio) und Mary (Sofia Coppola), sein Anwalt B. J. Harrison (George Hamilton), sein alter Freund Don Altobello (Eli Wallach) und sein ungestümer Neffe Vincent Mancini (Andy Garcia) hinzu.


„Der Pate“ war nie als Trilogie angelegt, sondern eigentlich nur als Einzelfilm, wenngleich Teil II – von Paramount Pictures aufgrund des großen finanziellen und kritischen Erfolgs des ersten Teils initiiert – auch auf Elemente des Originalromans von Mario Puzo zurückgreift. Die Verzahnung dieser beiden Filme ist aber so gut gelungen, dass man mit Fug und Recht von einem Ganzen sprechen kann. Hingegen ist der ungeliebte dritte Teil, den Coppola 16 Jahre nach Teil II aus Geldnot zu drehen gezwungen war und dem er eigentlich einen anderen Titel geben wollte, ein Fremdkörper; eines seiner Probleme ist, dass er einen Abschluss der Saga sucht, der bereits mit Teil II vorgenommen wurde. Ich wollte ihm noch eine Chance geben, doch ich muss leider feststellen, dass der Film in meiner Gunst noch weiter gesunken ist. Ich möchte daher im noch Folgenden nicht mehr weiter auf ihn eingehen und meine Ausführungen auf die beiden früheren Teile beschränken.

Was mich – ganz subjektiv – am ersten Teil fasziniert ist seine Makellosigkeit. Obwohl mit fast drei Stunden durchaus kein kurzer Film, gibt es in ihm doch praktisch keine überflüssige Szene, keine unnötigen Längen. Jede Einstellung hat ihren Sinn, ebenso jeder gesprochene Satz, und mag er noch so trivial erscheinen. Mehr noch, aus fast jeder Szene gibt es ein Zitat, das in irgendeiner Weise Kultfaktor erlangt hat. Dabei geht es nicht nur darum, die Handlung voranzutreiben, sondern ein ausuferndes Sittenbild zu zeichnen. In diesem Universum hat jede noch so kleine Nebenfigur ihre Geschichte. Teil II ist zwar unbestreitbar ebenfalls ein Meisterwerk, es fehlt ihm aber meiner Meinung nach die Dichte des ersten Teils. Ein Disput unter Liebhabern ist ja die Frage, ob nun der erste oder der zweite Teil der bessere ist. Befürworter von Teil II verweisen meist auf dessen Struktur mit zwei unterschiedlichen Zeitebenen. Ich persönlich entscheide mich aber für den ersten Teil. 

Die Rolle Michaels bzw. seine Einschätzung hat in meinem Freundeskreis schon für heftige Diskussionen gesorgt. Unbestreitbar ist, dass er in eine Rolle gedrängt wird, die er nicht angestrebt hat. Aber es stellt sich doch die Frage, in wessen Interesse er handelt, sobald er an der Macht ist – in dem seiner Familie oder doch in seinem eigenen? Auffälligerweise sind, zumindest in meinem Umfeld, Frauen meist gnädiger mit Michael als Männer. Ich persönlich sehe in ihm einen reinen Egoisten, was in aber keineswegs uninteressanter erscheinen lässt. Die Frage deutet unabhängig davon aber bereits in Richtung des (abgesehen vom Essen) eigentlichen Themas der Filme: die Familie.

Trotz meiner geschilderten Präferenz für den ersten Teil findet sich meine absolute Lieblingsszene – und an großartigen Szenen herrscht wahrlich kein Mangel – in Teil II. Es ist die vorletzte Szene des Films, eine Rückblende in das Jahr 1941, also vor die Handlung des ersten Teils. In ihr wird uns die unglaubliche Tragik des noch bevorstehenden Schicksals der Corleones nochmals bewusst: Da sitzen sie alle um den Esszimmertisch, die Geschwister, und warten auf die Ankunft ihres Vaters. Michael erklärt zum Verdutzen der anderen, dass er sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat, und es ist ausgerechnet Fredo, der ihn in seiner Entscheidung unterstützt. Und im Spannungsverhältnis von Familie und Individuen wird uns plötzlich klar, dass ihre Leben unzertrennbar miteinander verbunden sind, komme was wolle. „Kann ein Mann sich von seiner Familie trennen?“, fragt Michael irgendwann zuvor im Film seine Mutter. Ob er es will oder nicht, er kann es nicht.

13. Oktober 2012

„We Need to Talk About Kevin“ (2011, Lynne Ramsay)

Was kann eine Mutter tun, wenn ihr eigenes Kind sie hasst? Wenn alle Versuche, dem Kind liebevoll entgegenzutreten, ignoriert werden? Wenn das Kind einem das Leben zur Hölle macht? Keine leichten Fragen, die in „We Need to Talk About Kevin“ aufgeworfen werden. Und ehrlicherweise müssen wir uns eingestehen, dass es keine Lösung gibt, die wir nicht in irgendeiner Weise als unmoralisch und verwerflich empfinden würden.

Schon lange nicht mehr habe ich mich bei einem Film so unwohl gefühlt. Es ist ein Gefühl der Hilflosigkeit, dass einen mit Eva Khatchadourian (Tilda Swinton) mitleiden lässt, wenn ihr Sohn Kevin (Jasper Newell bzw. Ezra Miller) ihr auf der Nase herumtanzt, während ihr Mann Franklin (John C. Reilly) die Situation verkennt. Dies ist fast noch unerträglicher als das Bewusstsein um den Ausgang des Films, der lange nicht explizit ausgesprochen wird, sich aber doch bereits früh aufgrund von Rückblenden und Reaktionen von Personen ankündigt, weshalb ich hier ausnahmsweise einen SPOILER bringe: Kevin packt ganz unscheinbar eines Tages seinen Turnierbogen ein, verschließt die Türen seiner Schule mit Fahrradschlössern und verübt ein Massaker an seinen Mitschülern.

Ein Aspekt des Films bleibt mir unverständlich: Warum wird Eva nach der Tat von anderen Müttern angefeindet und mitverantwortlich gemacht? Sie hat doch selbst auch mit Verlusten zu kämpfen. Vielleicht aber ist gerade dies ein realistisches Bild der (häufig unlogischen) Verurteilungen, denen manche Menschen ausgesetzt sind, vor allem, aber nicht nur, im Milieu eines verlogenen „Desperate Housewives“-Vorstädtertums. Ansonsten aber kann man gar nicht anders als den Film zu verstehen – auch wenn man es manchmal lieber nicht tun sondern sich seine Blauäugigkeit bewahren wollen würde.

11. Oktober 2012

„Looper“ (2012, Rian Johnson)

Das Jahr 2044: Joe (Joseph Gordon-Levitt) ist ein sogenannter Looper, ein Auftragskiller, der Personen verschwinden lässt, die von einem Verbrechersyndikat aus der Zukunft per Zeitreise in seine Gegenwart gesandt werden. Das Geschäft läuft gut, problematisch wird es für ihn allerdings, als eines Tages sein dreißig Jahre älteres Ich (Bruce Willis) vor ihm steht.

Die Kurzzusammenfassung von „Looper“, in dem auch Jeff Daniels, Paul Dano und Emily Blunt zu sehen sind, liest sich wie die Beschreibung einer furchtbaren 08/15-Action-Dystopie. Ja, die Handlung wirkt ein wenig wie ein Flickwerk aus verschiedenen Klassikern des Science-Fiction-Genres: vor allem ein starker Einfluss von „Terminator 2“ (1991) lässt sich nicht bestreiten; andere Einstellungen erinnern wiederum frappant an „Das Omen“ (1976). Und ja, Zeitreisen in Filmen sind meist problematisch und lassen viele Fragen unbeantwortet oder gar unlogisch erscheinen (wenngleich diese Problematik im Film auch explizit angesprochen und als nebensächlich abgetan wird). Aber was soll’s – der Film hat mir gut gefallen!

Gordon-Levitt, Willis und Daniels liefern gute Leistungen, wobei man betonen muss, dass es im Film wohl keine einzige wirklich sympathische Person gibt. Die Action ist nicht übertrieben, ebenso wenig wie die technischen Ausstattungen der Zukunft, und es wird einem auch kein sinnloses 3D aufgezwungen. Die Handlungsweisen und -motivationen der einzelnen Personen sind durchaus nachvollziehbar. Und der Film ist absolut spannend, weil die Geschehnisse meist nicht sofort vorhersehbar sind. Was will man mehr von einem Film, der zum Unterhalten gedacht ist?

„Holy Motors“ (2012, Léos Carax)

Die Menschen wollen keine Handlung mehr. Diese Feststellung steht am Ende von „Holy Motors“. Ob ich dem nun, nachdem ich den Film gesehen habe, wirklich zustimmen kann, bin ich mir nicht wirklich sicher.

Monsieur Oscar (Denis Lavant) hat einen etwas eigenartigen Beruf: er wird den ganzen Tag und die ganze Nacht von der Chauffeurin Céline (Édith Scob) in einer weißen Stretchlimousine quer durch Paris von Auftrag zu Auftrag gefahren. Jedes Mal schlüpft er in eine andere Rolle, wofür ihm unzählige Verkleidungen und Gesichtsteile zur Verfügung stehen. Mal muss er nur als alter Mann auf einer Brücke betteln, mal stehen auch Morde auf der Agenda; so begegnen ihm die unterschiedlichsten Menschen (u. a. Michel Piccoli, Eva Mendes, Kylie Minogue). Wie seine Begegnungen jedoch in Zusammenhang stehen, das erschließt sich mir leider nicht.

Regisseur Léos Carax, der in einem Prolog auch selbst auftritt (Achten Sie außerdem auf den Mittelteil seines Vor- und Nachnamens!), hat einen durch und durch surrealistischen Film geschaffen, der gar nicht die Absicht hat, logisch und verständlich zu sein. Wenn man sich darauf einlässt, dann ist das sicher eine tolle Erfahrung. Mir ist das nicht gelungen, und so kann ich nur auf einzelne interessante Episoden und eine gelungene Kameraarbeit blicken, während ich mit dem Film in seiner Gesamtheit nicht viel anfangen kann. Schade.

30. September 2012

The Greatest Films … Eine Nachlese

Im August präsentierte „Sight & Sound“ die Ergebnisse der alle zehn Jahre durchgeführten Umfrage nach den besten Filmen aller Zeiten. Allgemeine Beobachtungen dazu habe ich bereits an anderer Stelle gemacht. Zwei Monate später – ich habe nun fast alle Top-10-Filme (nochmals) gesehen – möchte ich zumindest kurz auf die einzelnen Filme eingehen; nicht in mustergültigen Rezensionen, sondern in sehr subjektiven Statements:

Platz 10: „Achteinhalb“ (1963, Federico Fellini)
Der einzige Film von den gesehenen, den ich mir nicht (noch einmal) in den letzten zwei Monaten angeschaut habe. Im Sommer vor einem Jahr habe ich eine ganz kleine Fellini-Retrospektive veranstaltet; von den gezeigten Filmen war mir „Achteinhalb“ der unzugänglichste. Es müssen wohl noch ein paar Jahre vergehen, bis ich ihn mir – vielleicht mit dann anderen Augen – wieder gebe.

Platz 9: „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ (1927, Carl Theodor Dreyer)
Gesehen bei einer Projektion ohne Musik im Österreichischen Filmmuseum. Dreyers Film hat mir gut gefallen, obwohl er gegen Ende einige Längen aufweist. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, was Stummfilme eigentlich so alles können. Interessanterweise empfand ich gerade das, was von vielen Kritikern meist positiv hervorgehoben wird, nämlich die Großaufnahmen der Mimik von Maria Falconettis Gesicht, als extrem anstrengend.

Platz 8: „Der Mann mit der Kamera“ (1929, Dziga Vertov)
Gesehen bei einer Projektion ohne Musik im Österreichischen Filmmuseum. Vertov zeigt dokumentarisch einen Tag in einer sowjetischen Großstadt. Ich hatte mir von dem Avantgardefilm erwartet, dass er keine leichte Kost sein würde, doch ich hatte einen höchst vergnüglichen Kinoabend. Natürlich hat man mit den Sehgewohnheiten des 21. Jahrhunderts leicht reden. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, wie revolutionär Vertovs vielfältig angewandten Techniken waren.

Platz 7: „Der Schwarze Falke“ (1956, John Ford)
Viel möchte ich über diesen Film nicht sagen. Es gibt meiner Meinung nach deutlich bessere Western, auch mit John Wayne. Warum „Der Schwarze Falke“ in dieser Liste auftaucht, erschließt sich mir nicht ganz.

Platz 6: „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968, Stanley Kubrick)
Kubricks Meisterwerk gefällt mir mit jedem Mal besser; empfand ich ihn früher zumindest bei den obligaten Stellen als etwas langatmig, ist der Film dies inzwischen für mich nicht einmal mehr zeitweise. Kaum ein Film ist wohl so sehr im kollektiven Gedächtnis verankert, obwohl ihn heutzutage die wenigsten noch wirklich gesehen haben. Auch abseits der ikonisch gewordenen Einstellungen und Szenen gibt es fast keinen Moment, der einen nicht packt und nicht mehr los lässt.

Platz 5: „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ (1927, F. W. Murnau)
Gesehen bei einer Projektion im Österreichischen Filmmuseum. Murnau komprimiert in seinen eineinhalbstündigen Stummfilm eine ganze Reihe von menschlichen Handlungsweisen und Emotionen: Betrug, Mordkomplott, Misstrauen, Furcht, Reue, Vergebung, Versöhnung, Freude, Verzweiflung, Erlösung. Das Melodrama ist perfekt, doch nicht nur wegen des Inhalts sondern auch wegen des umfangreichen Instrumentariums an unterschiedlichen Techniken.

Platz 4: „Die Spielregel“ (1939, Jean Renoir)
Ist meines Wissens weder auf DVD erhältlich, noch konnte ich irgendwo eine Projektion miterleben; somit muss ich mich eines Urteils enthalten.

Platz 3: „Die Reise nach Tokyo“ (1953, Yasujirō Ozu)
Der kulturelle Hintergrund von Ozus Familiendrama mag einem manchmal etwas fremd vorkommen, doch sind es universale Themen, die „Tokyo Story“ anspricht. Völlig unaufgeregt lässt der Film einen jeden über die eigene Beziehung zu seinen Eltern nachdenken. Ozu zeigt nichts Einzigartiges oder Außergewöhnliches, doch die Art seiner Erzählung ist meisterhaft.

Platz 2: „Citizen Kane“ (1941, Orson Welles)
Von den zehn Filmen ist „Citizen Kane“ derjenige, den ich bereits am häufigsten gesehen habe. Da ich mich inzwischen viel kritischer mit Filmen auseinandersetze, wollte ich auch Welles’ Erstling kritischer sehen – und doch musste ich feststellen, dass es bei „Citizen Kane“ immer noch mehr zu entdecken gibt. Wie geht man mit einem Film um, der seit einem halben Jahrhundert von der Kritik in den Himmel gehoben wird? Man sieht ihn sich einfach an und begreift.

Platz 1: „Vertigo“ (1958, Alfred Hitchcock)
Ich dachte, dass ein Wiedersehen von „Vertigo“ – ich glaube zum vierten Mal – mich die Entscheidung der S&S-Jury verstehen lassen würde. Doch wieder ist dies nicht gelungen; ich habe sogar das Gefühl, dass ich mit jedem Mal skeptischer werde. Hitchcocks Film ist ohne Frage ein guter – aber der beste Film aller Zeiten? Vielleicht braucht man tatsächlich die oft beschworene Weisheit des Alters, um „Vertigo“ zu lieben. In zehn Jahren versuche ich es noch einmal.


Möchte man schließlich noch ein Resümee ziehen, so könnte man die Frage stellen: Warum wurden gerade diese Filme zu den besten gewählt, während Filme jüngeren Datums überhaupt nicht aufscheinen? Wir tendieren häufig dazu, die Perfektion auf der Basis von bereits Vorhandenem als wichtigstes Kriterium für das Beste anzunehmen. Wenn man diese Filme gesehen hat, wird einem schnell bewusst, dass die Jurorinnen und Juroren der S&S-Umfrage eine andere Herangehensweise hatten (die jedoch nicht vorgegeben war!): Kriterium für ihre Bewertungen war ohne Zweifel die Neuheit der angewandten Techniken und Erzählformen. Das ist sicher nicht das schlechteste Kriterium. Ein Wehrmutstropfen ist jedoch, das sich so wohl auch in Zukunft in der Liste nicht viel ändern wird.

22. September 2012

„Das Bourne Vermächtnis“ (2012, Tony Gilroy)

Die erste Einstellung: Ein Körper treibt im Wasser, wir sehen ihn nur aus der Tiefe im Gegenlicht. Doch dieser Mann muss nicht von Fischern gerettet werden – er befindet sich auf einem Trainingseinsatz in Alaska. Es sind solche kleinen Anspielungen, die mit den Reiz von „Das Bourne Vermächtnis“ ausmachen. Dabei musste man dem Film doch eigentlich mit einiger Skepsis begegnen. Es erschien zu sehr der Profitgier und dem Sequelwahn geschuldet, dass fünf Jahre nach Abschluss der hervorragenden Bourne-Trilogie plötzlich wieder ein Bourne-Film – ohne Jason Bourne! – in die Kinos kommen sollte. Da konnte auch die Tatsache, dass Tony Gilroy, Drehbuchautor der ersten drei Filme, diesmal auch die Regie übernehmen würde, die Zweifel zunächst nicht zerstreuen. Doch wie so oft sollte man sich nicht allein auf den ersten Eindruck verlassen.

Die CIA und das US-Verteidigungsministerium sind aufgrund der von Jason Bourne losgetretenen Enthüllungen gezwungen, ihre verschiedenen Geheimprojekte, in denen mittels genetischer Veränderung Über-Agenten für illegale Einsätze herangebildet werden, einzustellen. Aaron Cross (Jeremy Renner, „The Hurt Locker“), Mitglied des Projekts Outcome, entgeht nur durch Zufall seiner Liquidation, ebenso wie die den medizinischen Aspekt der Unternehmung überwachende Ärztin Dr. Marta Shearing (Rachel Weisz). Gemeinsam versuchen sie, ihren einstigen Arbeitgebern zu entkommen, verfolgt vom CIA-Offizier Eric Byer (Edward Norton) und dessen Team.

Zeitlich läuft „Das Bourne Vermächtnis“ parallel zur Handlung von „Das Bourne Ultimatum“. Dabei ist die Verknüpfung mit den ersten drei Filmen durchaus gelungen; sie wird nicht mit dem Holzhammer erzwungen, sondern durch einzelne Aussagen und Einstellungen behutsam herbeigeführt. Die Grundsituation wirkt sehr ähnlich, erscheint dann aber doch leicht variiert, vor allem da Cross deutlich weniger passiv als Bourne ist. Auch Jeremy Renner ist kein Matt Damon, anders, aber nicht unsympathisch. Der Film beginnt eher ruhig, nach einer Stunde ist man davon schon ein klein wenig irritiert, doch dann geht es Schlag auf Schlag. Insgesamt ist „Das Bourne Vermächtnis“ absolut solid, vielleicht nicht überdrüber, aber doch so, dass man zu keinem Zeitpunkt den Eindruck hat, dass irgendetwas furchtbar unrealistisch, übertrieben oder unnötig geil sei.

Hätte „Das Bourne Vermächtnis“ besser sein können? Möglich. War es ein Fehler des Bourne-Teams, den Film zu drehen? Nein. Das Fischerboot kommt auch in diesem Film doch noch zu seinem Einsatz, und wenn wir schließlich (eine geremixte Version von) Mobys „Extreme Ways“ hören, dann merken wir, dass wir zufrieden sind.