
Linklaters
jüngster Film ist keine Dokumentation im Stile von Michael Apteds „Up“-Reihe,
sondern ein gescripteter Spielfilm. Wenngleich über die Jahre hinweg
tatsächliche Ereignisse und Entwicklungen durchaus in die Geschichte
eingeflossen sind, so hat Linklater doch beteuert, dass das Drehbuch bereits
vor Beginn der Dreharbeiten weitestgehend feststand. Trotzdem hat „Boyhood“
etwas ungemein Dokumentarisches an sich, und dies hängt vor allem mit einem
ganz wesentlichen Aspekt zusammen: der natürlichen physischen Alterung der
Darsteller. Mit Hauptdarsteller Coltrane gelang Linklater ein unglaublicher
Glücksgriff – wer hätte bei einem Achtjährigen vorausahnen können, dass er sich
nicht nur für die gesamte Laufzeit verpflichten sondern auch schauspielerisch
unglaublich weiterentwickeln würde. Doch auch an den Erwachsenen gehen die
Jahre nicht spurlos vorüber: Die Lebenserfahrung, die Arquette und Hawke mit Mitte
Vierzig Arquette und Hawke mit Anfang Dreißig voraushaben, sieht man ihnen ins
Gesicht geschrieben. Waren die beiden in den 1990er-Jahren nicht gefragte
Schauspieler, deren Marktwert (zu Unrecht) inzwischen gesunken sein dürfte?
Richard Linklater
gelingt mit diesem Film ein Geniestreich, und man fragt sich inzwischen, warum
einen das überhaupt noch überrascht. Nicht nur verdanken wir ihm mit der „Before…“-Reihe – übrigens eine weitere Langzeitstudie mit Ethan Hawke – drei
der überzeugendsten Dialogfilme über Beziehungen. Alle seine Spielfilme der
letzten Jahre („A Scanner Darkly“ „Me and Orson Welles“, „Bernie“, „Before
Midnight“) können auch samt und sonders als hervorragend bezeichnet werden.
„Boyhood“ ist möglicherweise
der ultimative Film über das Erwachsenwerden – jedenfalls aber ein absolutes
Muss!