30. September 2012

The Greatest Films … Eine Nachlese

Im August präsentierte „Sight & Sound“ die Ergebnisse der alle zehn Jahre durchgeführten Umfrage nach den besten Filmen aller Zeiten. Allgemeine Beobachtungen dazu habe ich bereits an anderer Stelle gemacht. Zwei Monate später – ich habe nun fast alle Top-10-Filme (nochmals) gesehen – möchte ich zumindest kurz auf die einzelnen Filme eingehen; nicht in mustergültigen Rezensionen, sondern in sehr subjektiven Statements:

Platz 10: „Achteinhalb“ (1963, Federico Fellini)
Der einzige Film von den gesehenen, den ich mir nicht (noch einmal) in den letzten zwei Monaten angeschaut habe. Im Sommer vor einem Jahr habe ich eine ganz kleine Fellini-Retrospektive veranstaltet; von den gezeigten Filmen war mir „Achteinhalb“ der unzugänglichste. Es müssen wohl noch ein paar Jahre vergehen, bis ich ihn mir – vielleicht mit dann anderen Augen – wieder gebe.

Platz 9: „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ (1927, Carl Theodor Dreyer)
Gesehen bei einer Projektion ohne Musik im Österreichischen Filmmuseum. Dreyers Film hat mir gut gefallen, obwohl er gegen Ende einige Längen aufweist. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, was Stummfilme eigentlich so alles können. Interessanterweise empfand ich gerade das, was von vielen Kritikern meist positiv hervorgehoben wird, nämlich die Großaufnahmen der Mimik von Maria Falconettis Gesicht, als extrem anstrengend.

Platz 8: „Der Mann mit der Kamera“ (1929, Dziga Vertov)
Gesehen bei einer Projektion ohne Musik im Österreichischen Filmmuseum. Vertov zeigt dokumentarisch einen Tag in einer sowjetischen Großstadt. Ich hatte mir von dem Avantgardefilm erwartet, dass er keine leichte Kost sein würde, doch ich hatte einen höchst vergnüglichen Kinoabend. Natürlich hat man mit den Sehgewohnheiten des 21. Jahrhunderts leicht reden. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, wie revolutionär Vertovs vielfältig angewandten Techniken waren.

Platz 7: „Der Schwarze Falke“ (1956, John Ford)
Viel möchte ich über diesen Film nicht sagen. Es gibt meiner Meinung nach deutlich bessere Western, auch mit John Wayne. Warum „Der Schwarze Falke“ in dieser Liste auftaucht, erschließt sich mir nicht ganz.

Platz 6: „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968, Stanley Kubrick)
Kubricks Meisterwerk gefällt mir mit jedem Mal besser; empfand ich ihn früher zumindest bei den obligaten Stellen als etwas langatmig, ist der Film dies inzwischen für mich nicht einmal mehr zeitweise. Kaum ein Film ist wohl so sehr im kollektiven Gedächtnis verankert, obwohl ihn heutzutage die wenigsten noch wirklich gesehen haben. Auch abseits der ikonisch gewordenen Einstellungen und Szenen gibt es fast keinen Moment, der einen nicht packt und nicht mehr los lässt.

Platz 5: „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ (1927, F. W. Murnau)
Gesehen bei einer Projektion im Österreichischen Filmmuseum. Murnau komprimiert in seinen eineinhalbstündigen Stummfilm eine ganze Reihe von menschlichen Handlungsweisen und Emotionen: Betrug, Mordkomplott, Misstrauen, Furcht, Reue, Vergebung, Versöhnung, Freude, Verzweiflung, Erlösung. Das Melodrama ist perfekt, doch nicht nur wegen des Inhalts sondern auch wegen des umfangreichen Instrumentariums an unterschiedlichen Techniken.

Platz 4: „Die Spielregel“ (1939, Jean Renoir)
Ist meines Wissens weder auf DVD erhältlich, noch konnte ich irgendwo eine Projektion miterleben; somit muss ich mich eines Urteils enthalten.

Platz 3: „Die Reise nach Tokyo“ (1953, Yasujirō Ozu)
Der kulturelle Hintergrund von Ozus Familiendrama mag einem manchmal etwas fremd vorkommen, doch sind es universale Themen, die „Tokyo Story“ anspricht. Völlig unaufgeregt lässt der Film einen jeden über die eigene Beziehung zu seinen Eltern nachdenken. Ozu zeigt nichts Einzigartiges oder Außergewöhnliches, doch die Art seiner Erzählung ist meisterhaft.

Platz 2: „Citizen Kane“ (1941, Orson Welles)
Von den zehn Filmen ist „Citizen Kane“ derjenige, den ich bereits am häufigsten gesehen habe. Da ich mich inzwischen viel kritischer mit Filmen auseinandersetze, wollte ich auch Welles’ Erstling kritischer sehen – und doch musste ich feststellen, dass es bei „Citizen Kane“ immer noch mehr zu entdecken gibt. Wie geht man mit einem Film um, der seit einem halben Jahrhundert von der Kritik in den Himmel gehoben wird? Man sieht ihn sich einfach an und begreift.

Platz 1: „Vertigo“ (1958, Alfred Hitchcock)
Ich dachte, dass ein Wiedersehen von „Vertigo“ – ich glaube zum vierten Mal – mich die Entscheidung der S&S-Jury verstehen lassen würde. Doch wieder ist dies nicht gelungen; ich habe sogar das Gefühl, dass ich mit jedem Mal skeptischer werde. Hitchcocks Film ist ohne Frage ein guter – aber der beste Film aller Zeiten? Vielleicht braucht man tatsächlich die oft beschworene Weisheit des Alters, um „Vertigo“ zu lieben. In zehn Jahren versuche ich es noch einmal.


Möchte man schließlich noch ein Resümee ziehen, so könnte man die Frage stellen: Warum wurden gerade diese Filme zu den besten gewählt, während Filme jüngeren Datums überhaupt nicht aufscheinen? Wir tendieren häufig dazu, die Perfektion auf der Basis von bereits Vorhandenem als wichtigstes Kriterium für das Beste anzunehmen. Wenn man diese Filme gesehen hat, wird einem schnell bewusst, dass die Jurorinnen und Juroren der S&S-Umfrage eine andere Herangehensweise hatten (die jedoch nicht vorgegeben war!): Kriterium für ihre Bewertungen war ohne Zweifel die Neuheit der angewandten Techniken und Erzählformen. Das ist sicher nicht das schlechteste Kriterium. Ein Wehrmutstropfen ist jedoch, das sich so wohl auch in Zukunft in der Liste nicht viel ändern wird.

22. September 2012

„Das Bourne Vermächtnis“ (2012, Tony Gilroy)

Die erste Einstellung: Ein Körper treibt im Wasser, wir sehen ihn nur aus der Tiefe im Gegenlicht. Doch dieser Mann muss nicht von Fischern gerettet werden – er befindet sich auf einem Trainingseinsatz in Alaska. Es sind solche kleinen Anspielungen, die mit den Reiz von „Das Bourne Vermächtnis“ ausmachen. Dabei musste man dem Film doch eigentlich mit einiger Skepsis begegnen. Es erschien zu sehr der Profitgier und dem Sequelwahn geschuldet, dass fünf Jahre nach Abschluss der hervorragenden Bourne-Trilogie plötzlich wieder ein Bourne-Film – ohne Jason Bourne! – in die Kinos kommen sollte. Da konnte auch die Tatsache, dass Tony Gilroy, Drehbuchautor der ersten drei Filme, diesmal auch die Regie übernehmen würde, die Zweifel zunächst nicht zerstreuen. Doch wie so oft sollte man sich nicht allein auf den ersten Eindruck verlassen.

Die CIA und das US-Verteidigungsministerium sind aufgrund der von Jason Bourne losgetretenen Enthüllungen gezwungen, ihre verschiedenen Geheimprojekte, in denen mittels genetischer Veränderung Über-Agenten für illegale Einsätze herangebildet werden, einzustellen. Aaron Cross (Jeremy Renner, „The Hurt Locker“), Mitglied des Projekts Outcome, entgeht nur durch Zufall seiner Liquidation, ebenso wie die den medizinischen Aspekt der Unternehmung überwachende Ärztin Dr. Marta Shearing (Rachel Weisz). Gemeinsam versuchen sie, ihren einstigen Arbeitgebern zu entkommen, verfolgt vom CIA-Offizier Eric Byer (Edward Norton) und dessen Team.

Zeitlich läuft „Das Bourne Vermächtnis“ parallel zur Handlung von „Das Bourne Ultimatum“. Dabei ist die Verknüpfung mit den ersten drei Filmen durchaus gelungen; sie wird nicht mit dem Holzhammer erzwungen, sondern durch einzelne Aussagen und Einstellungen behutsam herbeigeführt. Die Grundsituation wirkt sehr ähnlich, erscheint dann aber doch leicht variiert, vor allem da Cross deutlich weniger passiv als Bourne ist. Auch Jeremy Renner ist kein Matt Damon, anders, aber nicht unsympathisch. Der Film beginnt eher ruhig, nach einer Stunde ist man davon schon ein klein wenig irritiert, doch dann geht es Schlag auf Schlag. Insgesamt ist „Das Bourne Vermächtnis“ absolut solid, vielleicht nicht überdrüber, aber doch so, dass man zu keinem Zeitpunkt den Eindruck hat, dass irgendetwas furchtbar unrealistisch, übertrieben oder unnötig geil sei.

Hätte „Das Bourne Vermächtnis“ besser sein können? Möglich. War es ein Fehler des Bourne-Teams, den Film zu drehen? Nein. Das Fischerboot kommt auch in diesem Film doch noch zu seinem Einsatz, und wenn wir schließlich (eine geremixte Version von) Mobys „Extreme Ways“ hören, dann merken wir, dass wir zufrieden sind.

12. September 2012

„To Rome With Love“ (2012, Woody Allen)

Ich muss sagen, ich bin wirklich überrascht. Woody Allens letzter Film „Midnight in Paris“ hatte mich nicht so sehr überzeugen können und angesichts dessen trotzdem großen Erfolgs waren meine Erwartungen jetzt bei „To Rome With Love“, das gemischte Kritiken erhalten hatte, nicht sehr hoch. Doch ich sollte eines besseren belehrt werden. 

In der Reihe der von Allen besuchten europäischen Städte ist nun Rom an der Reihe. Der Film besteht aus vier parallel verlaufenden Handlungssträngen, die miteinander eigentlich nicht verknüpft sind und auch ein jeweils unterschiedliches Tempo haben: Die jungen italienischen Eheleute Antonio (Alessandro Tiberi) und Milly (Alessandra Mastronardi) kommen mit hochtrabenden Plänen aus der Provinz; während sie sich in der Hauptstadt jedoch verirrt, muss er gegenüber seinen Verwandten die Prostituierte Anna (Penélope Cruz) als seine Frau ausgeben. Der zynische US-amerikanische Architekt John (Alec Baldwin), der in seiner Studentenzeit in Trastevere lebte, trifft auf sein junges Alter Ego Jack (Jesse Eisenberg), der drauf und dran ist, mit der extrovertierten Schauspielerin Monica (Ellen Page) einen Fehler zu begehen. Der gescheiterte Opernregisseur Jerry (Woody Allen) reist mit seiner Frau Phyllis (Judy Davis) aus Amerika an, nur um festzustellen, dass der Verlobte seiner Tochter ein Kommunist ist, dessen Vater, der Bestatter Giancarlo (Fabio Armiliato), jedoch unter der Dusche zum Gesangsvirtuosen mutiert. Und der einfache Angestellte Leopoldo (Roberto Benigni) wacht eines Morgens auf und stellt fest, dass er ohne jeden Grund zu einer Berühmtheit geworden ist.

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal im Kino so herzhaft gelacht habe! Der Film kommt recht harmlos daher – wieder einmal unterschiedliche Episoden, wieder einmal (zumindest scheinbar) das Thema Liebe. Am Anfang sind es vor allem witzige Dialoge und Einzeiler, die einen zum Schmunzeln bringen. Aber schon bald beginnt sich der Film in eine absurde Richtung zu bewegen. Hierbei gelingt es ihm jedoch, eine Ernsthaftigkeit zu bewahren, die einen nur in lautes Gelächter verfallen lassen kann (Ein Highlight ist definitiv die Auflösung von Woody Allens eigenem Handlungsstrang). Dabei mag der Film moralisch vielleicht nicht ganz einwandfrei sein. Doch man sieht den Personen ihre sexuellen Verfehlungen nach, „weil sie in Italien sind“ (O-Ton meine Frau).

„To Rome With Love“ ist definitiv empfehlenswert, auch (oder gerade dann) wenn man üblicherweise kein Komödienschauer ist.

5. September 2012

Das Attentat von München im Film

Heute jährt sich zum 40. Mal das Attentat von München. Da ich vor einigen Jahren die Möglichkeit hatte, mich im Rahmen einer Forschungspraktikumsarbeit mit der filmischen Rezeption dieses Ereignisses auseinanderzusetzen, gibt es an dieser Stelle ausnahmsweise einen etwas ausführlicheren Blogbeitrag.

Während der Olympischen Sommerspiele drangen am 5. September 1972 palästinensische Terroristen in das olympische Dorf ein und nahmen einen Teil der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln. Die Gruppierung, die sich Schwarzer September nannte, forderte die Freilassung von 234 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen, sowie jene der RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof aus deutscher Haft. Der Krisenstab, der unter der Leitung des bayerischen Innenministers Bruno Merk gebildet wurde und dem auch der deutsche Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber und der Bürgermeister des olympischen Dorfs Walther Tröger angehörten, wollte weniger auf Gewalt als auf Verhandlungsgeschick setzen; die israelische Regierung unter Ministerpräsidentin Golda Meir ließ aber verlautbaren, dass mit Terroristen nicht verhandelt werden würde. Ohne eine Verhandlungsbasis verfolgten die deutschen Behörden eine Hinhaltetaktik. Ein Befreiungsversuch durch ungeübte Polizisten, die als Athleten verkleidet agierten, scheiterte noch bevor er begonnen hatte, da die Aktion von den Terroristen im Fernsehen mitverfolgt werden konnte. Kurz vor Ablauf des zweimal verlängerten Ultimatums forderten die Geiselnehmer ein Flugzeug, das sie mit den Geiseln in ein arabisches Land bringen sollte. Diese Vorgehensweise sollte eine allzu lange Dauer der Geiselnahme verhindern. Der Krisenstab willigte ein und stellte für den Transport vom olympischen Dorf zum Flugplatz Fürstenfeldbruck zwei Hubschrauber zur Verfügung. Dort sollten die Geiseln mit Gewalt befreit werden. Doch das Vorhaben misslang. Im Zuge einer planlosen Schießerei sprengten die Terroristen einen der Hubschrauber mit der Hälfte der Geiseln in die Luft und erschossen die übrigen Geiseln. Insgesamt starben an diesem Tag elf israelische Sportler und Trainer. Es überlebten lediglich drei der palästinensischen Geiselnehmer, die allerdings nicht lange in deutscher Haft waren. Im Zuge der Entführung einer Lufthansa-Maschine am 29. Oktober 1972 wurden sie äußerst unkompliziert freigelassen, was den Verdacht einer Absprache zwischen der deutschen Regierung und den Terroristen aufkommen ließ. Auf Anweisung Golda Meirs wurde der israelische Geheimdienst Mossad beauftragt, sowohl die überlebenden Geiselnehmer als auch die palästinensischen Hintermänner zu beseitigen. Der Name dieser Operation war Zorn Gottes.


Mehrmals wurde der Anschlag von München filmisch verarbeitet: Bereits 1976 erschien der TV-Film „Die 21 Stunden von München“ des Regisseurs William A. Graham. Der Film basiert auf dem 1973 erschienen Roman „La Médaille de sang“ des französischen Schriftstellers Serge Groussard. Der Film wurde an den Originalschauplätzen gedreht und zeigt die Zeit vom Vorabend des Anschlages, als sich die israelischen Athleten auf ihr Quartier begeben, bis hin zum blutigen Kampf auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Er endet mit der offiziellen Trauerfeier im Münchner Olympiastadion und gibt mittels Kommentar noch einen Hinweis auf die Freilassung der drei überlebenden Terroristen. Die Handlung des Films orientiert sich sehr stark an den tatsächlichen Abläufen, bringt schon damals bekannte persönliche Schicksale von Tätern und Opfern mit hinein und ist lediglich durch den vollkommenen Verzicht auf die Rolle Walther Trögers, des Bürgermeisters des olympischen Dorfes, etwas ungenau. Im Mittelpunkt der Handlung stehen auf der einen Seite der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber (William Holden) und auf der anderen Seite der Anführer der Terroristengruppe Issa (Franco Nero). Beide werden als vernünftige und zielgerichtet arbeitende Personen dargestellt, die aus ihrer Sicht immer das richtige entscheiden. Der Ablauf der Geschehnisse wird als unumstößlich gezeigt, der durch nichts hätte anders verlaufen können. Es wird dadurch kein Vorwurf an die deutschen Behörden für ein etwaiges Versagen gemacht. Eine besondere Bedeutung wird – wohl aus dramaturgischen Gründen – der einzigen Frau im Umfeld der Geiselnahme, der vor Ort verhandelnden Sicherheitsbeamtin Anneliese Graes (Shirley Knight), und dem Spannungsverhältnis zwischen ihr und Issa beigemessen. „Die 21 Stunden von München“ ist nicht politisch. Der Film verurteilt die Taten der Terroristen als „ruchloses Verbrechen“, versucht aber trotzdem auch deren Sichtweise zu zeigen. Die Entscheidung Israels, nicht mit Terroristen zu verhandeln, wird als solche respektiert und weder als positiv noch als negativ kommentiert. Auf die politischen Zusammenhänge des israelisch-palästinensischen Konflikts wird gar nicht eingegangen.

Eine intensivste Bearbeitung erfuhr das Attentat auch in Kevin Macdonalds Dokumentarfilm „Ein Tag im September“ aus dem Jahr 1999. Dieser entstand in Zusammenarbeit mit dem britischen Autor Simon Reeve, der ein Jahr später ein Sachbuch gleichen Namens in Romanform herausbrachte. Der Film verknüpft die minutengenaue Chronologie der Ereignisse mit der persönlichen Wahrnehmung von Angehörigen der Opfer. Exemplarisch hervorgehoben wird das Schicksal von Ankie Spitzer, der Frau des Fechttrainers Andre Spitzer. Die Dokumentation macht stark Gebrauch von Talking head-Interviews mit jenen Personen, die damals den Krisenstab bildeten. Es wird aber auch ein Interview mit dem letzten überlebenden Terroristen Jamal Al-Gashey geführt. Die Dokumentation spart die politischen Hintergründe des israelisch-palästinensischen Konflikts im Allgemeinen und des Anschlags im Speziellen größtenteils aus. Gleichzeitig versucht der Film, eine gewisse Objektivität zu wahren, indem er weder für die palästinensische noch die israelische Seite Stellung bezieht. Die zwei Hauptangriffsziele der Dokumentation sind die deutschen Behörden und das Internationale Olympische Komitee. Die Frage nach der Vorgehensweise der deutschen Behörden wurde in der Öffentlichkeit von Anfang an kontroversiell diskutiert. Die Dokumentation sieht ein totales Chaos und Versagen der Polizei und der Bundesrepublik Deutschland in der Krisensituation der Geiselnahme. Das Aufzeigen dieses Versagens setzt bereits bei der Betrachtung der laxen Sicherheitsvorkehrungen am Olympia-Gelände an. Den Krisenstab betreffend werden das Fehlen einer Anti-Terroreinheit in Deutschland und die übermäßig vielen Entscheidungsträger, die eine einheitliche Vorgehensweise erschwert hätten, kritisiert. Auch wird das Ausbleiben einer Zusammenarbeit zwischen Polizei und Militär bemängelt. Weiters wird Deutschlands Umgang mit dem Ausgang der Geiselnahme, die Abschüttelung jeglicher Verantwortung und die Freilassung der Geiselnehmer stark kritisiert. Dem Internationalen Olympischen Komitee wird vorgeworfen, die Geiselnahme nur als lästige Unterbrechung der Spiele angesehen zu haben. Die Einschätzungen der Dokumentation sind meiner Meinung nach sehr subjektiv von amerikanischen und israelischen Vorgehensweisen geprägt. Persönlich erscheint mir die wiederholte und starke Kritik an einem Land, dass nicht sofort das Militär für innenpolitische Probleme hinzuziehen wollte und nicht bereit war, mit Waffengewalt „um jeden Preis“ zuzuschlagen, sehr einseitig. Auch ist die von der Dokumentation vorgenommene Einstufung der kritischen Kommentare Zvi Zamirs, des damaligen Mossad-Leiters, als berechtigte Kritik an Deutschland angesichts der Rolle Zamirs im Zusammenhang mit etlichen Mordanschlägen höchst fragwürdig. Ein Punkt, den der Film ebenfalls stark betont, ist die symbolische Bedeutung Deutschlands im Zusammenhang mit der Tötung von Juden. Immer wieder wird darauf eingegangen, dass die israelischen Athleten sich in Deutschland einerseits unwohl gefühlt hätten, andererseits aber ihre Präsenz bei den Spielen bewusst betonen wollten. Dass Israelis dann auf einem deutschen Flugfeld starben – womöglich sogar durch deutsches Polizeifeuer –, habe eine immense negative Symbolwirkung gehabt.


Einen anderen Stellenwert hat das Attentat im TV-Mehrteiler „Gideons Schwert“ (1986) sowie in dessen Spielfilmremake „München“ (2005). Der Anschlag dient hier nur als Ausgangspunkt für die Operation Zorn Gottes. Beide Filme beruhen auf dem 1984 erschienenen Roman „Vengeance“ des ungarisch-kanadischen Autors George Jonas. Dieser erzählt die Geschichte des Mossad-Agenten Avner, der auf direkten Befehl von Ministerpräsidentin Golda Meir eine Gruppe von Agenten anführt, die als Rache für den Anschlag von München selbständig die Drahtzieher der Geiselnahme ausforschen und umbringen sollen. So töten sie verschiedene (vermeintliche) Hintermänner, die in Europa verstreut agieren. Das Hauptziel ihres Auftrags, Ali Hassan Salameh, der Planer der Münchner Geiselnahme, wird allerdings mehrmals verfehlt. Am Ende des Buches ist Avner nicht mehr von dem überzeugt, was er tut, und kehrt dem Mossad den Rücken.
Immer wieder wurde die von „Vengeance“ erzählte Geschichte als Fiktion abgetan. Der ehemalige Mossad-Chef Zwi Zamir betonte 2006 in einem Interview mit Haaretz, dass sich die Mossad-Einheit nicht wie im Buch beschrieben aus „Halbsöldnern“ zusammengesetzt und dass der angebliche Anführer Avner nie existiert habe. Auch habe es sich bei der gezielten Tötung von Mitgliedern und Organisatoren der Gruppe Schwarzer September durch den Mossad nicht um einen Racheakt für München sondern um vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Anschläge gehandelt. Jonas selbst behauptet dagegen wiederholt, dass die Geschichte wahr und ihm von der „Avner“ genannten Person erzählt worden sei.

Wie bereits das Buch „Vengeance“ ist auch die erste Verfilmung aus dem Jahr 1986 problematisch. Den vierteiligen Fernsehthriller „Gideons Schwert“ mit Steven Bauer und Michael York drehte der Regisseur Michael Anderson für den amerikanischen Fernsehsender HBO. Die Darstellung der historischen Ereignisse erfolgt sehr oberflächlich bzw. teilweise auch falsch. Die politischen Hintergründe dienen nur als unbedeutende Rahmenhandlung für die Agentenaction. Die Tatsache, dass es um einen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis geht, wird zu wenig herausgearbeitet; die Handlung wird aus ihrem weltpolitischen Zusammenhang gerissen. Bezeichnend dafür ist, dass der Film vorgibt, in den Jahren 1972/1973 zu spielen, die Kostüme und die Ausstattung aber teilweise die Entstehungszeit der Miniserie, die 1980er, reflektieren.

Die zweite Verfilmung „München“ entstand 2005 unter der Regie von Steven Spielberg mit Eric Bana, Daniel Craig, Geoffrey Rush, Mathieu Kassovitz, Ciarán Hinds, Mathieu Amalric und Michael Lonsdale. Der Film ist lose an die Romanvorlage angelehnt, beschreitet aber größtenteils neue Wege, da „München“ außer „Vengeance“ auch neuere Literatur zur Verfügung stand, die sich seriöser mit der Thematik auseinandergesetzt hatte. Hier wird die Geiselnahme von München zu Beginn des Films, teilweise anhand von Originalaufnahmen, kurz dargestellt. Rückblenden auf den Anschlag stellen immer wieder Bezüge zur aktuellen Handlung her. So werden beispielsweise parallel die Namen und Photos der elf ermordeten Israelis und jene von elf zu ermordenden Palästinensern genannt bzw. gezeigt. Während der Film anfangs sehr stark die israelische Position vertritt, wandelt sich diese Einstellung bis zum Ende in eine Frage nach Recht und Unrecht. In mehreren Dialogen werden die unterschiedlichen Auffassungen dieser Frage und des politischen Verständnisses dafür erläutert, während der Zuseher sich aussuchen kann, welche Position ihm am ehesten liegt. Spielbergs Film wurde in der Öffentlichkeit von verschiedenen Seiten angegriffen, da manche den Film zu Israel-unkritisch, andere zu Israel-kritisch sahen.


Was ist nun der Wahrheitsgehalt dieser Filme? Tatsächlich fanden Tötungsaktionen Israels statt, wenn auch nicht unbedingt in der von Jonas und den auf seinem Roman basierenden Filmen geschilderten Weise. Unter anderem lassen sich folgende Fakten festhalten: 1972 wurde die Mossad-Sondereinheit Caesarea damit beauftragt, verschiedene namentlich festgelegte palästinensische Funktionäre umzubringen. In der Öffentlichkeit wurde dieses Unternehmen Zorn Gottes genannt. Dies war aber keine offizielle Bezeichnung des Mossad. Die erste von Caesarea durchgeführte Liquidierung war jene von Wael Zwaiter in Rom. Die Bedeutung Zwaiters ist mehr als umstritten. Der Übersetzer von „1001 Nacht“ ins Italienische soll den Terrorismus selbst verurteilt haben, der Grund für sein Aufscheinen auf der Todesliste ist nicht ganz klar. Ähnliche Zweifel an der persönlichen Verwicklung mit Schwarzer September gibt es beim zweiten Opfer, Mahmoud Hamshari, dem Vertreter der PLO in Paris. Unter dem Namen Quelle der Jugend ist jene Operation 1973 bekannt geworden, bei der Caesarea gemeinsam mit einer Spezialeinheit des israelischen Militärs drei hochrangige PLO-Funktionäre, Abu Youssef, Kamal Adwan und Kamal Nasser, in Beirut tötete. An diesem Unternehmen war auch Ehud Barak, der spätere israelische Ministerpräsident und heutige Verteidigungsminister, als Soldat beteiligt. Die sogenannte Lillehammer-Affäre wurde zu einem großen Misserfolg des Mossad. Israelische Agenten verwechselten einen marokkanischen Kellner mit Ali Hassan Salameh und töteten somit einen Unschuldigen. In der Folge wurden sechs Agenten in Norwegen angeklagt und teilweise zu Haftstrafen verurteilt. Salameh wurde schließlich 1979 mit einer Autobombe in Beirut getötet. Hingegen überlebte Abu Daoud, der Kommandant von Schwarzer September, ein Schussattentat, das 1981 in Warschau auf ihn verübt wurde. In den 1980er-Jahren sind die Einsätze von Caesarea nicht mehr so leicht nachvollziehbar, doch dürfte die Einheit bis Anfang der 1990er-Jahre gewirkt haben.

Der internationale Terrorismus in seinen verschiedenen Facetten ist für uns leider zu einer traurigen Selbstverständlichkeit geworden. Vor 40 Jahren war dies noch nicht so. In München hat er seinen Ausgang genommen.

4. September 2012

„Prometheus – Dunkle Zeichen“ (2012, Ridley Scott)

Schon länger war Ridley Scotts Prequel zu der von ihm gestarteten „Alien“-Reihe erwartet worden. Dass Scott im Vorfeld ein wenig die Erwartungen dämpfend angekündigt hatte, die Verknüpfung von „Prometheus“ zu den früheren Filmen werde nur recht lose sein, war dabei wirklich keine Untertreibung. Lediglich in den letzten zwanzig Minuten des Films ergeben sich einige ganz wenige Anknüpfungspunkte zu den „Alien“-Filmen. Dies ermöglicht dadurch aber auch eine selbständige Beurteilung des nun vorliegenden Films ohne Beachtung von Ballast.

Im Jahr 2093 ist das Raumschiff Prometheus der Weyland Corporation auf der Suche nach den Konstrukteuren der Menschheit unterwegs zu einem fernen Mond. Zur überwiegend wissenschaftlichen Besatzung gehören unter anderem die beiden Archäologen Elizabeth Shaw (Noomi Rapace) und Charlie Holloway (Logan Marshall-Green), die kühle Expeditionsleiterin Meredith Vickers (Charlize Theron) und der Androide David (Michael Fassbender). Am Ziel angekommen beginnen sie mit ihren Erkundungen.

In aller Kürze: Optisch ist „Prometheus“ beeindruckend, wobei das Production Design fast noch besser ist als die Spezialeffekte. Darüber hinaus hat der Film aber nicht sehr viel zu bieten. Die Handlung ist etwas wirr und weist logische Lücken auf; vor allem in der zweiten Hälfte des Films wirkt es so, als ob viel Material im Schneideraum liegen geblieben wäre.

Als Blockbusterkino, als das „Prometheus“ daherkommt, ist der Film in Ordnung – aber er ist sicher einer der schwächeren von Ridley Scott.


P.S.: Ich bin kein großer Freund von Kino-Vorschauen. Im Falle von „Prometheus“ erschienen jedoch Anfang des Jahres mehrere Viralclips – keine Vorschauen im herkömmlichen Sinn, da sie eher eine Ergänzung des Films darstellen – die durchaus lohnenswert sind. Prometheus Viral Clip # 1 (TED Talk 2023) erinnert mich aus irgendeinem Grund an Ridley Scotts berühmten Werbespot aus dem Jahr 1984 für den Apple Macintosh. Persönlich finde ich Prometheus Viral Clip #2 (Happy Birthday David) toll. Aber Vorsicht: Die Videos versprechen mehr als der Film halten kann.

„Amour“ (2012, Michael Haneke)

Wie soll man über „Amour“ schreiben? Von Michael Haneke ist man Verstörendes gewohnt, doch anders. Vor einer Woche hatte ich die Gelegenheit, Hanekes jüngsten Film, der dieses Jahr in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, exklusiv bei seiner Österreich-Vorpremiere im Filmmuseum – inklusive Begrüßungsinterview mit dem Regisseur – zu sehen. Seitdem mühe ich mich damit ab, etwas darüber in Worte zu fassen.

Die Handlung lässt sich einfach zusammenfassen: Die Senioren Georges und Anne (die französischen Altstars Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva), ein bildungsbürgerliches Ehepaar, leben ein aktives Leben, bis Anne sich zur Vermeidung eines Schlaganfalls einer Operation unterziehen muss. Diese misslingt, Anne ist fortan halbseitig gelähmt. Georges nimmt es entgegen den Rat ihrer im Ausland lebenden Tochter Eva (Isabelle Huppert) auf sich, seine Frau zu pflegen. Doch deren Zustand verschlechtert sich zusehends.

Hanekes Film ist ein unglaublich gelungenes Kammerspiel: Bis auf eine Szene zu Beginn verlassen wir die stilvoll eingerichtete Wohnung des Seniorenpaares nie. Über weite Strecken sind nur Trintignant und Riva zu sehen. Die Intensität ihres Schauspiels ist dabei beängstigend. Noch immer fehlen mir die Worte.

„Amour“, ein Film über das Altern, spricht eine Thematik an, die jeden von uns betrifft. Hat nicht jeder in seiner Verwandtschaft bereits einen Pflegefall gehabt? Ob der Film deshalb automatisch einem universellen Publikum gefällt, wie in den letzten Wochen manchmal behauptet worden ist, bleibt dahingestellt. Ich bezweifle dies, denn ich fürchte, dass die meisten Menschen das Thema Alter bewusst ausblenden. Dies sei jedem zugestanden. Wer das tut, verpasst allerdings einen der besten Filme dieses Jahres.