22. Februar 2012

Oscar-Verleihung 2012

Am kommenden Sonntag, dem 26. Februar 2012 werden die diesjährigen Academy Awards vergeben. Im Folgenden finden sich sämtliche Nominierungen sowie meine Tipps und meine Wünsche. Ist mir eine Aussage nicht möglich, dann lasse ich es sein. Kursiv wiedergegeben werden jene Filme, die ich bereits gesehen habe.

Bester Film
„The Artist“
„The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten“
„Extrem laut und unglaublich nah“
„The Help“
„Hugo Cabret“
„Midnight in Paris“
„Die Kunst zu gewinnen – Moneyball“
„The Tree of Life“
„Gefährten“ („War Horse“)
Eine schwere Entscheidung. Freuen würde ich mich am meisten für „The Tree of Life“ oder „Hugo Cabret“, verdient hätte es definitiv auch „The Descendants“. Nach der Logik Hollywoods wird es aber wahrscheinlich „The Artist“ werden.

Beste Regie
Michel Hazanavicius – „The Artist“
Alexander Payne – „The Descendants“
Martin Scorsese – „Hugo Cabret“
Woody Allen – „Midnight in Paris“
Terrence Malick – „The Tree of Life“
Wunsch: Terrence Malick; Tipp: Martin Scorsese

Bester Hauptdarsteller
Demián Bichir – „A Better Life“
George Clooney – „The Descendants“
Jean Dujardin – „The Artist“
Gary Oldman – „Dame, König, As, Spion“ („Tinker Tailor Soldier Spy“)
Brad Pitt – „Moneyball“
Gary Oldman hätte es endlich verdient und wird es wohl auch werden; George Clooney dürfte von mir aus aber auch.

Beste Hauptdarstellerin
Glenn Close – „Albert Nobbs“
Viola Davis – „The Help“
Rooney Mara – „Verblendung“ („The Girl with the Dragon Tattoo“)
Meryl Streep – „Die Eiserne Lady“ („The Iron Lady“)
Michelle Williams – „My Week with Marilyn“
Ohne den Film gesehen zu haben: ich glaube und hoffe, dass es für Michelle Williams endlich soweit ist!

Bester Nebendarsteller
Kenneth Branagh – „My Week with Marilyn“
Jonah Hill – „Moneyball“
Nick Nolte – „Warrior“
Christopher Plummer – „Beginners“
Max von Sydow – „Extrem laut und unglaublich nah“
Auch wenn ich mich scheinbar wiederhole: Christopher Plummer sollte und wird wahrscheinlich endlich zum Zug kommen.

Beste Nebendarstellerin
Bérénice Bejo – „The Artist“
Jessica Chastain – „The Help“
Melissa McCarthy – „Brautalarm“ („Bridesmaids“)
Janet McTeer – „Albert Nobbs“
Octavia Spencer – „The Help“
Hier habe ich weder einen Tipp noch einen Wunsch – außer vielleicht, dass es nicht Bérénice Bejo wird.

Bestes Originaldrehbuch
„The Artist“ – Michel Hazanavicius
„Brautalarm“ – Annie Mumolo, Kristen Wiig
„Der große Crash – Margin Call“ – J. C. Chandor
„Midnight in Paris“ – Woody Allen
„Nader und Simin – Eine Trennung“ – Asghar Farhadi
Wunsch: „Margin Call“, gefolgt von „Nader und Simin“; Tipp (weil so typisch Hollywood): „Midnight in Paris“

Bestes adaptiertes Drehbuch
„The Descendants“ – Alexander Payne, Nat Faxon, Jim Rash
„Hugo Cabret“ – John Logan
„The Ides of March – Tage des Verrats“ – George Clooney, Grant Heslov, Beau Willimon
„Moneyball“ – Steven Zaillian, Aaron Sorkin, Stan Chervin
„Dame, König, As, Spion“ – Bridget O'Connor, Peter Straughan
Gute Chancen hat, wenn es auch verwirrend sein mag, „Dame, König, As, Spion“.

Bester Animationsfilm
„A Cat in Paris“ – Alain Gagnol, Jean-Loup Felicioli
„Chico & Rita“ – Fernando Trueba, Javier Mariscal
„Kung Fu Panda 2“ – Jennifer Yuh Nelson
„Der gestiefelte Kater“ („Puss in Boots“) – Chris Miller
„Rango“ – Gore Verbinski
Ich habe keinen der Filme gesehen, aber Freunde haben mir im letzten Jahr ihre extreme Begeisterung für „Rango“ zum Ausdruck gebracht, also schließe ich mich diesem Tipp an.

Bester fremdsprachiger Film
„Bullhead“ (Belgien) – Regie: Michael R. Roskam
„Hearat Shulayim“ (Israel) – Regie: Joseph Cedar
„In Darkness“ (Polen) – Regie: Agnieszka Holland
„Monsieur Lazhar“ (Kanada) – Regie: Philippe Falardeau
„Nader und Simin – Eine Trennung“ (Iran) – Regie: Asghar Farhadi
Wer meinen Blog regelmäßig liest, weiß, dass es natürlich „Nader und Simin“ sein muss, eines meiner persönlichen Highlights des letzten Jahres. Die Chancen stehen auch extrem gut.

Bester animierter Kurzfilm
„Dimanche“ – Patrick Doyon
„The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore“ – William Joyce, Brandon Oldenburg
„La Luna“ – Enrico Casarosa
„A Morning Stroll“ – Grant Orchard, Sue Goffe
„Wild Life“ – Amanda Forbis, Wendy Tilby

Bester Kurzfilm
„Pentecost“ – Peter McDonald, Eimear O‘Kane
„Raju“ – Max Zähle, Stefan Gieren
„The Shore“ – Terry George, Oorlagh George
„Time Freak „– Andrew Bowler, Gigi Causey
„Tuba Atlantic“ – Hallvar Witzø

Bestes Szenenbild
„The Artist“ – Laurence Bennett, Robert Gould
„Harry Potter und die Heiligtümer des Todes: Teil 2“ – Stuart Craig, Stephenie McMillan
„Hugo Cabret“ – Dante Ferretti, Francesca Lo Schiavo
„Midnight in Paris“ – Anne Seibel, Hélène Dubreuil
„Gefährten“ – Rick Carter, Lee Sandales
Zwar stammen viele der Sets von „Hugo Cabret“ aus dem Computer, doch sind sie wirklich liebevoll und einfallsreich gestaltet. Tipp und Wunsch.

Beste Kamera
„The Artist“ – Guillaume Schiffman
„Verblendung“ – Jeff Cronenweth
„Hugo Cabret“ – Robert Richardson
„The Tree of Life“ – Emmanuel Lubezki
„Gefährten“ – Janusz Kaminski
Ich glaube und hoffe, dass es Emmanuel Lubezkis Kameraarbeit für „The Tree of Life“ werden wird.

Bestes Kostümdesign
„Anonymus“ – Lisy Christl
„The Artist“ – Mark Bridges
„Hugo Cabret“ – Sandy Powell
„Jane Eyre“ – Michael O'Connor
„W.E.“ – Arianne Phillips
Die typischste Academy-Entscheidung wäre „Jane Eyre“. Ich persönlich würde es „Hugo Cabret“ wünschen, der zwar mit historischen, aber erfreulich unaufgeregten Kostümen aufwarten konnte.

Bester Dokumentarfilm
„Hell and Back Again“ – Danfung Dennis, Mike Lerner
„If a Tree Falls: A Story of the Earth Liberation Front“ – Marshall Curry, Sam Cullman
„Paradise Lost 3: Purgatory“ – Joe Berlinger, Bruce Sinofsky
„Pina“ – Wim Wenders, Gian-Piero Ringel
„Undefeated“ – TJ Martin, Dan Lindsay, Richard Middlemas

Bester Dokumentar-Kurzfilm
„The Barber of Birmingham: Foot Soldier of the Civil Rights Movement“ – Robin Fryday, Gail Dolgin
„God Is the Bigger Elvis“ – Rebecca Cammisa, Julie Anderson
„Incident in New Baghdad“ – James Spione
„Saving Face“ – Daniel Junge, Sharmeen Obaid-Chinoy
„The Tsunami and the Cherry Blossom“ – Lucy Walker, Kira Carstensen

Bester Schnitt
„The Artist“ – Anne-Sophie Bion, Michel Hazanavicius
„The Descendants“ – Kevin Tent
„Verblendung“ – Kirk Baxter, Angus Wall
„Hugo Cabret“ – Thelma Schoonmaker
„Moneyball“ – Christopher Tellefsen
Hier wäre ein Oscar für „The Artist“ durchaus verdient.

Bestes Make-Up
„Albert Nobbs“ – Martial Corneville, Lynn Johnston, Matthew W. Mungle
„Harry Potter und die Heiligtümer des Todes: Teil 2“ – Nick Dudman, Amanda Knight, Lisa Tomblin
„Die Eiserne Lady“ – Mark Coulier, J. Roy Helland
Meine Vermutung (obwohl nicht gesehen): „Albert Nobbs“.

Beste Filmmusik
„Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ – John Williams
„The Artist“ – Ludovic Bource
„Hugo Cabret“ – Howard Shore
„Dame, König, As, Spion“ – Alberto Iglesias
„Gefährten“ – John Williams
Zwar hat „Dame, König, As, Spion“ einen hervorragenden, leicht jazzigen Soundtrack, doch eindeutig am besten hat mir Howard Shores cliché-französische Musik für „Hugo Cabret“ gefallen.

Bester Filmsong
„Die Muppets“ – Bret McKenzie („Man or Muppet“)
„Rio“ – Sergio Mendes, Carlinhos Brown, Siedah Garrett („Real in Rio“)

Bester Ton
„Verblendung“ – David Parker, Michael Semanick, Ren Klyce, Bo Persson
„Hugo Cabret“ – Tom Fleischman, John Midgley
„Moneyball“ – Deb Adair, Ron Bochar, Dave Giammarco, Ed Novick
„Transformers 3“ – Greg P. Russell, Gary Summers, Jeffrey J. Haboush, Peter J. Devlin
„Gefährten“ – Gary Rydstrom, Andy Nelson, Tom Johnson, Stuart Wilson
Die Kategorien Ton und Tonschnitt gehören zu den schwierigsten, da man sich häufig nicht viel darunter vorstellen kann bzw. vieles von den meisten Zuschauern unbemerkt wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass der Ton (im Gegensatz zum Tonschnitt) nur schwer in Synchronfassungen beurteilt werden kann. Daher enthalte ich mich hier eines Urteils.

Bester Tonschnitt
„Drive“ – Lon Bender, Victor Ray Ennis
„Verblendung“ – Ren Klyce
„Hugo Cabret“ – Philip Stockton, Eugene Gearty
„Transformers 3“ – Ethan Van der Ryn, Erik Aadahl
„Gefährten“ – Richard Hymns, Gary Rydstrom
Es gilt zum Teil das zuvor Gesagte. Wenn ich aber so darüber nachdenke, dann sind mir bestimmte gut gemachte Soundeffekte vor allem von „Hugo Cabret“ und „Drive“ in Erinnerung.

Beste visuelle Effekte
„Harry Potter und die Heiligtümer des Todes: Teil 2“ – Tim Burke, David Vickery, Greg Butler, John Richardson
„Hugo Cabret“ – Rob Legato, Joss Williams, Ben Grossman, Alex Henning
„Real Steel“ – Erik Nash, John Rosengrant, Dan Taylor, Swen Gillberg
„Planet der Affen: Prevolution“ – Joe Letteri, Dan Lemmon, R. Christopher White, Daniel Barrett
„Transformers 3“ – Scott Farrar, Scott Benza, Matthew Butler, John Frazier
Hier wird der Gewinner – verdientermaßen – ziemlich sicher „Hugo Cabret“ lauten, denn nicht nur hat der Film gute visuelle Effekte sondern er dreht sich auch von der Handlung her um solche (Stichwort: die Illusionen des frühen Kinos).

„Hugo Cabret“ (2011, Martin Scorsese)

Ja, „Hugo Cabret“ ist ein 3D-Film, aber dies sollte nicht die vordergründige Klassifizierung von Martin Scorseses jüngstem Regiewerk darstellen. Wenn ich versuche, mich zurückzuerinnern, dann fällt mir nicht einmal mehr ein, wo Dreidimensionalität zum Tragen kam – so geschmeidig und unauffällig war sie.

„Hugo Cabret“ ist Scorseses jüngster auch mit Blick auf die Geschichte: Der zwölfjährige Waisenknabe Hugo Cabret (Asa Butterfield) lebt in den 1930er-Jahren alleine auf dem Pariser Gare Montparnasse, wo er sich im Geheimen um die vielen monumentalen Uhren des Bahnhofs kümmert, sich mit kleineren Lebensmitteldiebstählen über Wasser hält und darauf achtet, nicht vom gehbehinderten Stationsaufseher (Ali G- und Borat-Darsteller Sacha Baron Cohen) erwischt zu werden. Seine eigentliche Aufgabe sieht Hugo aber in der Reparatur eines ungewöhnlichen Schreibautomaten, den er von seinem Vater (Jude Law) erhalten hat. Damit gerät er jedoch in einen Konflikt mit dem alten  Spielzeughersteller Georges Méliès (Ben Kingsley), der mit allen Mitteln etwas vergessen möchte. Eine Verbündete hat Hugo hingegen in Méliès’ Mündel Isabelle (Chloë Grace Moretz); gemeinsam machen sie sich – unterstützt vom Buchhändler Labisse (Christopher Lee) – an ein Abenteuer, das sie zu den Anfängen des Kinozeitalters zurückführt.

Wie wird man „Hugo Cabret“ am besten gerecht? Zunächst muss man feststellen, dass er einfach nur schön ist! Aber eben nicht nur „einfach nur“. Der Film wird getragen von einer Faszination und Liebe für das Kino, die Scorsese, einen Vorstreiter der Erhaltung und Restauration alter Filme, schon lange ausgezeichnet hat – wer schon einmal seine vierstündige „Personal Journey with Martin Scorsese Through American Movies“ gesehen hat, weiß wovon ich spreche!

Wenn man die liebevoll restaurierten eingebundenen Originalfilme vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sieht, kann man nur bewundernd und ehrfürchtig verstummen; auch mit etwas Stolz, da man den einen oder anderen Schnipsel (u.a. die Kürzestfilme von William K. L. Dickson und der Brüder Lumière) von früheren Kinoerfahrungen wiedererkennt. Doch man muss kein Filmliebhaber – oder gar -spezialist – sein, um „Hugo Cabret“ genießen zu können. Vielleicht wird man gerade durch ihn zu einem solchen! Über kleinere dramaturgische Schwächen kann man jedenfalls getrost hinwegsehen.

Übrigens: „Hugo Cabret“ ist nicht, wie häufig zu lesen ist, ein Kinderfilm sondern ein echtes filmisches Märchen für Erwachsene!

14. Februar 2012

„Tinker Tailor Soldier Spy“ (2011, Tomas Alfredson, „Dame, König, As, Spion“)

Dieser Film des schwedischen Regisseurs Tomas Alfredson hätte ohne weiteres auch vor vierzig Jahren gedreht worden sein können. Im positiven Sinne! „Tinker Tailor Soldier Spy“ ist nicht nur die Verfilmung eines Spionageromans von John le Carré aus den 1970er-Jahren, angesiedelt in den 1970er-Jahren; er ist eine Hommage an die Agentenfilme der 70er!

Nach einer misslungenen Aktion in Budapest, müssen der britische Geheimdienstchef ‚Control‘ (John Hurt) und sein Stellvertreter George Smiley (Gary Oldman) ihren Hut nehmen. Doch ein paar Monate später wird Smiley zurückgerufen, um eine inoffizielle Untersuchung vorzunehmen; einer der höchsten Geheimdienstoffiziere (Toby Jones, Ciarán Hinds, David Dencik und Colin Firth) soll ein sowjetischer Maulwurf sein. Smiley steht bei seinem Auftrag nur der Agent Peter Guillam (Benedict Cumberbatch) zur Seite. Ebenfalls Teil dieses britischen Ausnahmeensembles: Tom Hardy, Stephen Graham, Christian McKay und Mark Strong.

In diesem Film gibt es keine aufsehenerregenden Verfolgungsjagden und keine groß angelegten Shootouts. Was wir erleben, ist das graue Leben von Schreibtischagenten. Und doch gelingt es „Tinker Tailor Soldier Spy“, uns vergessen zu lassen, dass der Kalte Krieg bereits seit 20 Jahren vorüber ist. Dazu trägt nicht zuletzt auch die bestechende grobkörnige Retro-Optik des Films bei. Die ersten zwanzig Minuten sind möglicherweise etwas verwirrend, doch dann lässt uns die Spannung nicht mehr los. Und das, obwohl der Film aus manchen Aspekten bewusst die Spannung herausnimmt.

Die Schauspieler agieren allesamt hervorragend; nochmals hervorzuheben ist jedoch Cumberbatch. Und was Gary Oldman angeht: Er hätte sich seinen Oscar nun endlich wirklich verdient!

13. Februar 2012

„The Artist“ (2011, Michel Hazanavicius)

Alle reden von „The Artist“ – das allein ist schon eine beeindruckende Leistung für einen Schwarzweiß-Stummfilm aus dem Jahr 2011. Aber was steckt dahinter? Um es gleich vorweg auf den Punkt zu bringen: „The Artist“ ist gut, aber dem großen Hype kann ich persönlich mich nicht anschließen.

Wie bereits an anderer Stelle in diesem Blog ausgeführt („Schwerpunkt ‚Das Geschäft mit dem Film‘“, 10.12.2011), steht „The Artist“ in einer langen Tradition von Filmen über das Filmgeschäft. Dabei ist die Geschichte selbst nichts Außergewöhnliches und vereint Versatzstücke aus solchen Klassikern wie „A Star Is Born“ (1954, George Cukor) und „Singin’ in the Rain“ (1952, Stanley Donen & Gene Kelly). Der erfolgreiche Filmstar George Valentin (Jean Dujardin) verpasst Ende der 1920er-Jahre den Sprung vom Stumm- zum Tonfilm, während die zunächst unbekannte, von ihm protegierte Peppy Miller (unerträglich: Bérénice Bejo) die Karriereleiter nach oben steigt.

Programmatisch ist bereits die Eröffnungssequenz, in der wir gemeinsam mit einem Premierenpublikum einen von Valentins Agentenfilmen sehen: „Ich werde nicht reden!“, schmettert er russischen Spionen mittels Zwischentitel entgegen. Überhaupt ist es nicht so sehr der konventionelle Plot, der diesen Ausnahmefilm auszeichnet. Was in Erinnerung bleibt, ist eine beständige Aneinanderreihung filmischer Zitate. Dabei greift der französische Regisseur Michel Hazanavicius auf unterschiedliche „Schwarzweiß-Traditionen“ zurück: Elemente des Slapstick, der Screwball-Komödie und des Film Noir werden verknüpft mit dem Symbolismus des expressionistischen Films. Einen gewichtigen Einfluss hat an mehreren Stellen Orson Welles’ genialer „Citizen Kane“ (1941). Und wenn wir beim Showdown die Musik Bernard Herrmanns aus „Vertigo“ (1958, Alfred Hitchcock) vernehmen, dann hat „The Artist“ endgültig eine Spannweite von ca. 40 Jahren Filmgeschichte erreicht.

Dieses für den Filmliebhaber große Vergnügen ist aber auch das größte Problem des Films: er ist ein großes Mischmasch, weder Fisch noch Fleisch. Würde man nur dies in Rechnung stellen, müsste die Bewertung daher um einiges nüchterner ausfallen. Da es hin und wieder aber auch gilt, das Wagnis, das Ungewöhnliche, das So-noch-nicht-Gesehene zu würdigen, darf man in diesem Fall auch ein Auge zudrücken.

Eine der stärksten Szenen des Films ist übrigens jene, in der es gar nicht so stumm ist: Mit dem Abstellen eines Wasserglases hören wir auf einmal all den Lärm, der Valentine umgibt, auch wenn er selbst nur stumm bleiben kann. Wie angenehm ist es doch manchmal, wenn man nichts hört!

7. Februar 2012

„The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten“ (2011, Alexander Payne)

Schon lange hat mich kein Film dermaßen bewegt. Ob meine extrem positive Beurteilung von „The Descendants“ dadurch emotional verzerrt ist? Mag sein. Aber sind es nicht manchmal diese Emotionen, die wir brauchen?

„The Descendants“, das ist ein Blick nach vorne und ein Blick zurück. Da seine Frau durch einen Sportunfall im Koma liegt, steht der in Honolulu ansässige Anwalt Matt King (George Clooney) vor der Herausforderung, sich intensiver mit seinen beiden Töchtern Alex (Shailene Woodley) und Scottie (Amara Miller) beschäftigen zu müssen, die angesichts des von ihren Eltern hinterlassenen Chaos mit einem schweren Erbe zu kämpfen haben. Gleichzeitig führt das Bewusstwerden der eigenen Identität zu einer Auseinandersetzung mit seiner eigenen Familiengeschichte, entstammt er doch einem weitverzweigten Clan mit einer Generationen zurückreichenden Verantwortung für das Land und die Leute.

Das Setting in Hawaii hätte für mich durchaus zu einer persönlichen Horrorfahrt werden können (überall geblümte Hemden, kurze Hosen und Flipflops), wären mir nicht vor ein paar Wochen die hawaiianischen Kleidungstraditionen durch eine Arte-Dokumentation näher gebracht worden. So konnte ich jedoch eintauchen in das ungewöhnliche Ambiente und die äußeren Umstände als eine angenehme Abwechslung zu den üblichen Settings solcher Familiendramen empfinden.

Clooney, der für diese Rolle bereits einen Golden Globe erhalten hat, wäre sicherlich ein würdiger Oscar-Preisträger. Doch auch das übrige Ensemble aus Jung- und Altschauspielern darf hier nicht unerwähnt bleiben. Beau Bridges als Teil des King-Clans und Robert Forster als zorniger Schwiegervater zeigen kleine, aber feine Darstellungen. Woodley und Miller als Töchter, die mit ihrer Situation zunächst nicht umzugehen wissen, und Nick Krause als leicht dümmlicher und doch tiefgründiger Freund von Alex liefern hervorragende Leistungen.

Ob es dem Film gelingen wird, auch noch in ein paar Jahren so emotional mitzureißen oder ob er seine Emotionalität mit der Zeit einbüßen wird, wird sich weisen. Einstweilen kann ich den Film jedem nur empfehlen.