31. Januar 2012

„Drive“ (2011, Nicolas Winding Refn)

Untertags arbeitet der Driver (Ryan Gosling) als Mechaniker und Stuntfahrer für Filmproduktionen, nachts ist er Fluchtautofahrer. Privat lernt er seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan) und deren Sohn besser kennen. Das Leben scheint sich für den Einzelgänger in die richtige Richtung zu bewegen. Doch plötzlich überschlagen sich die Ereignisse.

„Drive“, das Hollywood-Debüt des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn, ist eine Mischung aus Autofahrer-Action und pessimistischem Arthouse, was prinzipiell sehr reizvoll ist, leider aber nicht durchgehend funktioniert. Ein wenig zu sehr vertraut der Film auf die – zugegeben ausgezeichnete – Musik, die einen in die 80er-Jahre zurückversetzt. Auch optisch werden wir teilweise in die 80er zurückversetzt; sehr stark fühlte ich mich an meinen Lieblingsregisseur Michael Mann erinnert – von „Collateral“ über „Miami Vice“ (die Serie, nicht der Film!) bis hin zu „Der Einzelgänger“ zurück.

Ständig die schauspielerische Leistung Goslings betonend, komme ich mir langsam etwas blöd vor, doch auch dieses Mal muss es sein: er ist meiner Meinung nach inzwischen einer der ganz Großen, von dem noch viel zu erwarten sein wird. Gebührend unterstützt wird er jedoch von Mulligan, Bryan Cranston (Hal aus „Malcolm mittendrin“), Albert Brooks, Oscar Isaac und Ron Perlman.

„Drive“ hat wohl seine Mängel, ist aber nichtsdestotrotz definitiv sehenswert.

„Meek’s Cutoff“ (2010, Kelly Reichardt)

Endlich wieder einmal ein slow movie nach meinem Geschmack.

Die Handlung: 1845. Drei Siedlerehepaare haben den großmäuligen Stephen Meek (Bruce Greenwood) angeheuert, der sie sicher durch die Ödnis nach Oregon führen soll, wo sie sich niederlassen wollen. Doch seine angebliche Abkürzung entpuppt sich als wasserloser Irrweg. Die Sorge der Siedler angesichts des nahenden Verderbens wächst und vor allem Emily Tetherow (Michelle Williams) begehrt immer mehr gegen Meek auf.

Über weite Strecken zeigt „Meek’s Cutoff“ in Stille die einfachen und zermürbenden Lebensverhältnisse der amerikanischen Siedler. Der Fokus liegt dabei besonders auf den Tätigkeiten der drei Ehefrauen, die das ganze Werk zwar am Laufen halten, dabei aber keinerlei Mitspracherecht haben. Das Schauspielensemble, das insgesamt lediglich aus neun Personen besteht, agiert bravourös, doch wieder einmal hervorragend ist Williams.

Das Ende mag möglicherweise etwas unbefriedigend sein, doch insgesamt ist dieser Film absolut empfehlenswert!

Originalfassung vs. Synchronfassung

Auch wenn ich damit sicher heftige Kontroversen heraufbeschwöre, schicke ich gleich vorweg: Ich bin ein großer Fan von Synchronfassungen!

Nun gut, ich habe auch schon anderssprachige Synchronisationen gehört und mir ist dabei manchmal alles vergangen, aber deutschsprachige Synchronfassungen sind meist top!

Ich sage dies als jemand, der sowohl Deutsch als auch Englisch muttersprachlich spricht. Natürlich gibt es Situationen, in denen auch ich mir eine Originalfassung anschauen werde, aber im Regelfall werde ich mir die deutschsprachige Version eines Filmes zu Gemüte führen.

Ich werde sehr häufig auf dieses scheinbar extrem heikle Thema angesprochen und bin wohl in manchen Kreisen aufgrund meines Standpunktes schon als Banause verschrien. Aber ich frage mich doch hin und wieder, wie viel manche meiner Kritiker von den Filmen, die sie ansehen, überhaupt mitbekommen, wenn ich, der ich zu Hause immer Englisch gesprochen habe, mir bei vielen amerikanischen Filmen bereits schwer tue.

Im Folgenden möchte ich kurz ein paar meiner Kriterien, die sehr subjektiv und mit Sicherheit nicht perfekt sind, darlegen:

Britische Filme schaue ich eher auf Englisch. Warum? Weil das britische Englisch – die Hochsprache, nicht die Dialekte! – für mich einfach eine schöne Sprache ist, der man mit Freude zuhört.

Mehrsprachige Filme bzw. Filme, in denen Sprache eine Rolle spielt, schaue ich meist in der Originalfassung. Dies gilt häufig auch, wenn ich keiner der gesprochenen Sprachen mächtig bin; in einem solchen Fall wähle ich die Originalfassung mit Untertiteln.

Die Sprachversion, in der ich einen Film beim ersten Mal gesehen habe, wähle ich auch bei erneutem Schauen. Ich bin ein Gewohnheitstier und mir wächst die Version, die ich kenne, sehr schnell ans Herz. Dies geht sogar soweit, dass ich selbst Verfilmungen von Romanen und Theaterstücken in jener Sprache anschaue, in der ich sie zuvor gelesen bzw. gesehen habe.
In meiner Kindheit und Jugend, als ich mich mit Filmen zu beschäftigen begann, gab es noch keine DVDs, geschweige denn irgendwelche gerippte Versionen im Internet (die ich mir ohnedies prinzipiell nicht ansehen würde). Wir hatten zwar manche englischsprachige Videokassetten, doch größtenteils war ich auf Filme im Fernsehen angewiesen. Und die waren nun einmal deutschsprachig.

Bin ich die Synchronstimme eines Schauspielers gewohnt, schaue ich mir auch seine weiteren Filme meist auf Deutsch an. Es gilt das oben gesagte hier noch mehr. Ich mag die Synchronstimmen der meisten Schauspieler, und wenn sie sich ändern, dann macht mich das wahnsinnig. Robert De Niro, Sean Connery, George Clooney oder Brad Pitt haben aufgrund meiner persönlichen Geschichte einfach ihre deutsche Stimme zu haben.

Aber: Meine Lieblingsfilme schaue ich natürlich sowohl in der Original- als auch in der Synchronfassung. Mir ist selbstverständlich klar, dass es die Originalfassung ist, die das eigentliche Kunstwerk ist – ich bin ja nicht ganz blöd! Deswegen schaue ich Filme, die ich besonders schätze, selbstredend auch im Original an. Somit kann ich „Heat“ oder „Der Pate“ sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch zitieren.

„J. Edgar“ (2011, Clint Eastwood)

J. Edgar Hoover, der von dessen Gründung an 48 Jahre lang Direktor des FBI war, gilt als eine der umstrittensten Persönlichkeiten der US-amerikanischen Geschichte. Daher war ich doch ein wenig gespannt, wie Clint Eastwood sein Biopic mit Leonardo DiCaprio in der Titelrolle anlegen würde.

Eastwood ist für mich ein interessantes Phänomen, kann er doch hin und wieder überragende Filme abliefern, während andere einfach nicht gut sind. Beim Regisseur Eastwood ist alles Melodrama, was eine merkwürdige Diskrepanz zum Schauspieler Eastwood darstellt. Das ist prinzipiell nicht schlecht. Schlecht werden seine Filme dann, wenn die melodramatischen Elemente Überhand nehmen.

Dies ist bei „J. Edgar“ nicht der Fall – aber nur knapp nicht. Der Film arbeitet mit unterschiedlichen Zeitebenen, die nicht immer ganz zu durchschauen sind. Aufhänger für die Rückblenden ist Hoovers Abfassung seiner Memoiren, die sich aber scheinbar auch über mehrere Jahre erstreckt. Thematisiert werden die platonische Beziehung Hoovers zu seiner langjährigen Sekretärin (Naomi Watts) und besonders ausführlich die homosexuelle Lebenspartnerschaft mit seinem Stellvertreter Clyde Tolson (Armie Hammer). Die Entstehung des FBI wird vor allem anhand der Lindbergh-Entführung 1932 ausgebreitet, während viele andere Ereignisse, die auch im kulturellen Gedächtnis mit dem FBI in Verbindung gebracht werden, nur anekdotenhaft angerissen werden. Leider bleibt der Film dadurch nur Stückwerk.

Wenn Sie sich „J. Edgar“ ansehen wollen, dann tun Sie es. Wenn Sie es allerdings nicht vorhatten: es entgeht Ihnen nichts.

„The Messenger – Die letzte Nachricht“ (2009, Oren Moverman)

Der im Irak verwundete und ausgezeichnete Staff Sergeant Will Montgomery (Ben Foster) wird, wieder in den USA stationiert, dem trockenen Alkoholiker Captain Tony Stone (Woody Harrelson) zugeteilt. Ihre Aufgabe: Sie müssen Hinterbliebenen die erste Nachricht vom Ableben getöteter Soldaten berichten.

Ich musste letztens, als ich mir „The Messenger“, den ich 2009 bereits im Kino gesehen hatte, mit Freunden ansah, feststellen, dass diese meine Begeisterung für den Film nicht wirklich teilen konnten. Das finde ich sehr schade.

Das Regiedebüt von Oren Moverman, der auch für das Drehbuch von „I’m Not There“ verantwortlich zeichnet, hat durchaus seine Schwächen und wurde von mir seinerzeit „nur“ mit Gut bewertet. Aber er präsentiert einen Aspekt des Krieges, der nur sehr selten in Filmen zu sehen ist, auf eine sehr einfühlsame Weise. Zum überwiegenden Teil funktioniert „The Messenger“ durch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen, unter denen jene der beiden Hauptdarsteller Foster und Harrelson besonders hervorstechen, die aber von den meisten Nebendarstellern (u.a. Samantha Morton, Steve Buscemi) gut ergänzt werden. Die Art, wie Betroffene mit ihrem Verlust umgehen, ist höchst unterschiedlich, aber man gewinnt den Eindruck, dass alle – Benachrichtigte wie Überbringer – irgendwie kaputt sind.

Meiner Meinung nach ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des Irakkrieg-Traumas.

27. Januar 2012

„Faust“ (2011, Aleksandr Sokurow)

Ist ein Film schlecht, nur weil er nicht zum Aushalten ist? Diese Frage stelle ich mir, seit ich Anfang dieser Woche „Faust“ gesehen habe.

Die Interpretation des Goethe‛schen Faust-Stoffs des russischen Regisseurs Aleksandr Sokurow, auf Deutsch mit dem Österreicher Johannes Zeiler in der Titelrolle verfilmt, ist keine leichte Kost – langatmig, zermürbend und extrem wirr. Gleichzeitig wird aber möglicherweise gerade dies dem ursprünglichen Theaterstück am meisten gerecht.

Ich bin noch immer sprachlos.

„Verblendung“ (2011, David Fincher)

Den drei CDs umfassenden Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross im CD-Player, lasse ich mir die letztwöchige Vorstellung von David Finchers „Verblendung“ zum wiederholten Male durch den Kopf gehen. Ich bin unschlüssig. Möglicherweise war es doch ein Fehler, mir die ältere schwedische Verfilmung des Stoffs zur Vorbereitung anzusehen („Verblendung“ (2009, Niels Arden Oplev); siehe meine Rezension vom 16. Januar 2012). David Fincher ist einer meiner absoluten Lieblingsregisseure. Einige Freunde von mir haben mir ihre große Begeisterung über den Film kundgetan. Aber ich bin noch immer unschlüssig.

Das Problem ist, dass Oplev und Fincher zwei ähnliche, aber doch ganz unterschiedliche Filme präsentieren. Den den Filmen zugrundeliegenden Roman habe ich nicht gelesen, aber trotzdem erkenne ich, dass Finchers Film einige Plotabwandlungen vorgenommen hat.

Der wegen Verleumdung verurteilte Aufdecker-Journalisten Mikael Blomkvist (Daniel Craig) wird vom Unternehmer Henrik Vanger (Christopher Plummer) angeheuert, um das Jahrzehnte zurückliegende Verschwinden von dessen Nichte Harriet aufzuklären. Blomkvist beginnt, über die untereinander zerstrittene Familie Vanger, deren Unternehmen inzwischen von Harriets Bruder Martin (Stellan Skarsgård) geleitet wird, zu recherchieren. Unterstützt wird er bald auch von der jungen Hackerin Lisbeth Salander (Rooney Mara), die ein Mündel des Staates ist und als Aussteigerin lebt.

Zu behaupten, dass Fincher die Geschichte aus Schweden nach Hollywood entführt hat, wäre übertrieben, aber in der Antithese erkenne ich plötzlich umso mehr, was ein „skandinavischer“ Film wirklich ist bzw. was einen solchen ausmacht. Finchers Schauplätze sind weniger karg, weniger kalt und weniger isoliert. Erzählerisch ist der Fokus verschoben, was schon durch die Originaltitel erkennbar wird. Während der schwedische Titel von Buch und Film, „Män som hatar kvinnor“ („Männer, die Frauen hassen“), auf ein Sittenbild verweist, lenkt der englische Titel „The Girl with the Dragon Tattoo“ unseren Blick auf die weibliche Hauptperson Lisbeth Salander.

Das Schicksal Salanders nimmt bei Fincher viel mehr Platz ein – und das, obwohl nicht viel mehr als im Original erzählt wird. Dementsprechend dauert es erstaunlich lange, bis Salander und Blomkvist einander begegnen. Positiver Effekt ist dadurch jedoch, dass letzterer mehr Möglichkeiten hat, sich recherchierend zu profilieren, und nicht mehr nur wie ein dummer Schulbub von Salander auf die richtigen Lösungen gestoßen werden muss. Insgesamt bedeutet dies aber auch, dass der Film viel von seinem detektivischen Plot verliert. Während die Zuschauer beim Originalfilm viele der langsamen Denkprozesse noch miterleben konnten und so selbst zu Detektiven wurden, werden sie nun von den handelnden Personen mitgerissen. Überraschend ist, dass es Fincher weniger als Oplev gelingt, ein gruseliges Porträt der Familie Vanger zu zeichnen. Demgegenüber ist die Auflösung des ursprünglichen Rätsels zwar immer noch leicht unbefriedigend, doch zumindest ein wenig überzeugender als im Original.

Ist Finchers „Verblendung“ wegen all dem Genannten ein schlechterer Film? Nein, keineswegs. Aber ich bin noch immer unschlüssig.

16. Januar 2012

„Verblendung“ (2009, Niels Arden Oplev), „Verdammnis“ (2009, Daniel Alfredson) und „Vergebung“ (2009, Daniel Alfredson)


Als Vorbereitung auf das Hollywood-Remake des ersten Teils habe ich mir zum Jahreswechsel endlich Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie angesehen. Die drei schwedischen Thriller „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ hätten es sicher verdient, jeder für sich rezensiert zu werden. Aufgrund von Zeitmangel kann ich aber leider nur eine Sammelrezension liefern.

Die Filme bzw. die ihnen zugrunde liegenden Bücher handeln von dem Aufdecker-Journalisten Mikael Blomkvist (Mikael Nyqvist) und seinen Recherchen mit bzw. für die Hackerin und Aussteigerin Lisbeth Salander (Noomi Rapace). Dabei steht der erste Teil „Verblendung“ relativ selbständig da, während die anderen beiden Teile „Verdammnis“ und „Vergebung“ erzählerisch eine Einheit bilden. Somit ist der wohl auch dem Regiewechsel nach dem ersten Teil geschuldete Wandel in der Inszenierung durchaus in Ordnung.

Alle drei Filme sind gut, doch wirklich gut hat mir vor allem der erste Teil „Verblendung“ (schwedischer Originaltitel „Män som hatar kvinnor“, „Männer, die Frauen hassen“) gefallen. Inhaltlich werde ich bei der Rezension des Hollywood-Remakes auf ihn eingehen, es sei nur so viel gesagt: Es gelingt dem Film, die Spannung stets aufrecht zu erhalten, und er lässt einen mit den Charakteren mitfiebern, obwohl es eigentlich keine einzige sympathische Person gibt. Lediglich das Deus ex machina-Ende ist ein ganz klein wenig unbefriedigend.

Dem Gefühl nach laufen die drei Filme ohnedies ständig im Fernsehen; nutzen Sie diese Gelegenheit.

12. Januar 2012

„The Ides of March – Tage des Verrats“ (2011, George Clooney)

Wieder einmal ein Film, auf den ich mich zu lange vorgefreut habe, als dass ich nicht hätte enttäuscht sein können.

„The Ides of March“, George Clooneys vierte Regiearbeit, ist einer jener Politthriller alter Schule, in denen niemand mit Waffengewalt bedroht wird oder um sein Leben bangen müsste (trotz zweier Opfer). Womit die Handelnden hier bedroht werden, ist der Verlust von Macht.

Der Film begleitet Stephen Meyers (Ryan Gosling), der als Teil des Wahlkampfteams des demokratischen Gouverneurs Mike Morris (Clooney) das Rennen um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten mitbestreitet. Dabei drohen er selbst und die gesamte Kampagne zwischen zwei rivalisierenden Wahlkampfmanagern (Philip Seymour Hoffman und Paul Giamatti), einem ehrgeizigen Kontrahenten (Jeffrey Wright), einer New Yorker Journalistin (Marisa Tomei) und einer geheimnisvollen Wahlkampfhelferin (Evan Rachel Wood) zerrieben zu werden.

Es ist dieses Who is Who von Hollywoods derzeitigen Charakterdarstellern, das das große Plus des Films ausmacht. Doch auch die angenehm unaufgeregte Regie Clooneys, der bekanntlich bei Politthemen in seinem wahren Element ist, und die hervorragende, sehr klassische Kameraarbeit Phedon Papamichaels dürfen nicht unerwähnt bleiben. Doch irgendetwas fehlt. Trotz manch wirklich unerwarteter Plot-Twists wird man das Gefühl nicht los, man habe das alles schon einmal gesehen.

In meinem Jahresranking habe ich „The Ides of March“ als in Ordnung abqualifiziert. Möglicherweise ist dieses Urteil ungerechtfertigt. Möglicherweise ist es die Enttäuschung aufgrund zu hoher Erwartungshaltung, die aus mir spricht. Möglicherweise werde ich nach einer zweiten Betrachtung in ein paar Monaten zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Aber momentan kann ich diesen Film leider nicht besser bewerten.

11. Januar 2012

„War on Terror“ (2011, Sebastian J.F.)

Auf den Dokumentarfilm „War on Terror“ bin ich zufällig gestoßen. Im ersten Moment ist man geneigt, „Nicht schon wieder eine Doku, die ihre vermeintliche Wahrheit über den Irakkrieg präsentieren will!“ auszurufen. Doch diese österreichische Produktion geht viel weiter als Filme wie Michael Moores „Fahrenheit 9/11“ (inzwischen auch schon über sieben Jahre alt!). Sie hält sich nur anfangs mit den Umständen, die zum Krieg führten, auf und widmet sich dann ausführlich ihrem eigentlichen Thema: der systematischen Missachtung der Menschenrechte und vor allem des Verbots der Folter durch die Bush-Regierung. Dabei verzichtet der Film vollständig auf eine begleitende Off-Stimme und konzentriert sich vor allem auf Talking Heads, unter denen der ehemalige Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz und der Wiener Jurist und ehemalige UN-Sonderberichterstatter über Folter Manfred Nowak die prominentesten sind.

Die Dokumentation arbeitet mit einer sachlichen und ernsten Erzählstruktur, die auch vor erschreckenden Bildern nicht zurückschreckt. Manchmal kippt sie ins Absurde, etwa dann, wenn sie einen CIA-Film über kommunistische Foltermethoden aus den 1950er-Jahren mit Berichten aus Guantanamo kontrastiert, oder schon bei der Titelsequenz, die ein direktes Zitat des Anfangs von Stanley Kubricks „Dr. Strangelove“ ist. Doch diese ob der Drastik des Gezeigten manchmal notwendigen Abwechslungen verharmlosen nicht sondern unterstreichen vielmehr die richtigen und wichtigen Aussagen des Films.

Bitte anschauen!

„Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ (2011, Steven Spielberg)

Vor zwei Wochen habe ich in einer Nachmittagsvorstellung in einem Kino, in dem ich seit über zehn Jahren nicht mehr war, die letzte Chance genutzt, mir „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ anzusehen. Klar ist, dass es Comic-Verfilmungen prinzipiell nicht leicht haben, gute Filme zu werden, müssen sie doch versuchen, einen oft über Jahrzehnte entwickelten Kosmos in eineinhalb bis zwei Stunden zu pressen, ohne dabei langjährige Fans auf der einen und Neulinge auf der anderen Seite zu verärgern. Häufig begnügen sich solche Filme damit, ein Kompendium von Anspielungen zu sein ohne dabei allzu viel Wert auf die Handlung zu legen.

Eins muss man „Die Abenteuer von Tim und Struppi“ lassen: Technisch ist der Motion Capture-3D-Film gut gemacht, zumindest soweit ich das als absoluter Laie auf diesem Gebiet beurteilen kann. Doch dann beginnen schon die Probleme. Die in Comicbüchern notwendige Verkürzung des Gesagten und Gedachten wirkt bei der Übertragung auf die Leinwand recht hölzern. Es macht Tim unsympathisch, dass er alles stets sofort überreißt, ohne dass jemals ein Denkprozess wahrgenommen werden kann. Die Handlung ist größtenteils dem Tintin-Bänden „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“, „Das Geheimnis der ‚Einhorn‘“, sowie „Der Schatz Rackhams des Roten“ entnommen. Das waren gute Voraussetzungen. Doch trotzdem fiebert man einfach nicht mit.

Der Film muss sich aufgrund ähnlicher Plot-Elemente – Person mit eigentlich biederem Beruf begibt sich an exotischen Orten auf die Suche nach Artefakten – auch mit Regisseur Steven Spielbergs eigener Indiana Jones-Tetralogie messen, kann damit aber leider nicht mithalten.

Für Fans von Tim und Struppi ist der Film zum einmaligen Genuss in Ordnung. Mehr aber nicht.

4. Januar 2012

„Nader und Simin – Eine Trennung“ (2011, Asghar Farhadi)

Dieser iranische Film, der bei der letztjährigen Berlinale den Goldenen Bären gewonnen hat, ist nicht ganz leicht einzuordnen.

Simin (Leila Hatami) möchte mit den erhaltenen Visa in den Westen, ihr Ehemann Nader (Peyman Moadi) will den Iran allerdings nicht verlassen, da er sich um seinen alzheimerkranken Vater kümmern muss. Zwischen dem Paar, das der oberen Mittelschicht angehört, steht die gemeinsame elfjährige Tochter Termeh (Sarina Farhadi). Eine Scheidung wäre möglich, müsste aber einvernehmlich geschehen. Während Simin aus dem gemeinsamen Haushalt auszieht, engagiert Nader als Pflegerin die schwangere Razieh (Sareh Bayat), die mit ihrem arbeitslosen Mann Hodjat (Shahab Hosseini) aus der armen, religiösen Unterschicht stammt.

Mehr möchte ich zur Handlung nicht sagen, da dieser Film voller unerwarteter Wendungen ist. Vordergründig ein Beziehungsdrama, ist das Hauptthema des ersten Drittels des Films die Pflege eines alten Menschen und die damit verbundene Sorge um diesen. Einfühlsam wird gezeigt, wie viel Liebe und Mitgefühl es erfordert, sich um jemanden zu kümmern, der keine Reaktionen zeigt. Dann überschlagen sich plötzlich die Ereignisse und wir finden uns in einer Art Gerichtsfilm wieder. Irgendwo habe ich gelesen, dass „Nader und Simin“ etwas von Alfred Hitchcock hat, und dem kann ich nur zustimmen: In manchen Szenen fühlt man sich wirklich an Filme wie „Der falsche Mann“ oder aber auch an Franz Kafka erinnert.

Dieser Film ist extrem spannend, und das, obwohl er vollkommen unaufgeregt daherkommt. Getragen wird er von einem hervorragenden Schauspielensemble. Und er irritiert, zeigt er uns doch einen Iran, wie wir ihn aufgrund der Medienberichte und der Person eines Mahmud Ahmadinedschad nicht erwarten würden.

Eines meiner Highlights des Kinojahres 2011!

Kino-Ranking 2011

Berücksichtigt sind all jene Filme, die ich 2011 regulär im Kino gesehen habe und die nicht Teil einer Retrospektive waren.
Das Bewertungsschema wurde gegenüber den Vorjahren leicht geändert: Das Ranking kennt nun die Kategorien „Besonders Empfehlenswert“, „Sehenswert“, „In Ordnung“, „Schlecht“ und „Sehr schlecht“. Drei Filme können als „Highlights“ ausgezeichnet werden. Innerhalb der Kategorien sind die Filme alphabetisch geordnet.
Die Bewertung wirkt möglicherweise recht unausgewogen, was wohl mit der Vorauswahl der Filme an der Kinokasse zusammenhängt. Dieses Jahr habe ich es nicht nur geschafft, keine „sehr schlechten“ Filme zu sehen; es waren überraschenderweise nicht einmal „schlechte“ Filme dabei!


Trofis feinste Auslese ... im Kino (2011)

Highlights
„Blue Valentine“ (2010, Derek Cianfrance)
„Der Gott des Gemetzels“ (2011, Roman Polanski)
„Nader und Simin – Eine Trennung“ (2011, Asghar Farhadi)

Besonders Empfehlenswert
„Atmen“ (2011, Karl Markovics)
„Habemus Papam“ (2011, Nanni Moretti)
„Die Höhle der vergessenen Träume“ (2010, Werner Herzog)
„I Am Love“ (2009, Luca Guadagnino)
„The King’s Speech“ (2010, Tom Hooper)
„Margin Call“ (2011, J. C. Chandor)
„Melancholia“ (2011, Lars von Trier)
„The Tree of Life“ (2011, Terrence Malick)
„War on Terror“ (2011, Sebastian J.F.)

Sehenswert
„Black Swan“ (2010, Darren Aronofsky)
„Eine dunkle Begierde“ (2011, David Cronenberg)
„The Fighter“ (2010, David O. Russel)
„Jane Eyre“ (2011, Cary Joji Fukunaga)
„Michael“ (2011, Markus Schleinzer)
„Nichts zu verzollen“ (2010, Dany Boon)
„Tournée“ (2010, Mathieu Amalric)
„True Grit“ (2010, Ethan Coen, Joel Coen)
„Whores’ Glory“ (2011, Michael Glawogger)

In Ordnung
„72 Stunden - The Next Three Days“ (2010, Paul Haggis)
„Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ (2011, Steven Spielberg)
„The Ides of March – Tage des Verrats“ (2011, George Clooney)
„In Time“ (2011, Andrew Niccol)
„Midnight in Paris“ (2011, Woody Allen)
„Sherlock Holmes: Spiel im Schatten“ (2011, Guy Ritchie)


Erstmals vergebe ich auch Auszeichnungen für herausragende schauspielerische Leistungen und die beste Szene des Kinojahres:

Coppa Trofi: Herausragende schauspielerische Leistungen
Ryan Gosling & Michelle Williams, „Blue Valentine“
Christoph Waltz, „Der Gott des Gemetzels“
Viggo Mortensen, „Eine dunkle Begierde“

Prix TFAntastique: Beste Szene des Jahres
„The Tree of Life“: Geburts- und Kindheitssequenz, unterlegt mit Bedřich Smetanas „Die Moldau“