26. März 2013

Paul Thomas Anderson und die Steadicam

Bereits im November erschien auf der Webseite von „Sight & Sound“ Kevin B. Lee: „Steadicam progress – The career of Paul Thomas Anderson in five shots“. Regisseur Paul Thomas Anderson ist ja für seinen Einsatz von Tracking Shots bekannt. So wirkt die Eröffnungsszene von „Boogie Nights“ meiner Meinung nach auch heute noch spektakulär! Lee behandelt in seinem Artikel den Wandel in Andersons Verwendung der Steadicam von „Last Exit Reno“ bis „There Will Be Blood“ („The Master“ wird nur kurz angerissen).

Das begleitende Video zum Artikel ist aus Copyright-Gründen auf der S&S-Seite nicht mehr einsehbar, kann aber auf Lees Vimeo-Seite betrachtet werden.

Zwei Blickwinkel auf „Django Unchained“

Anfang Mai erschienen auf der Webseite von „Sight & Sound“ zwei lesenswerte Artikel über Quentin Tarantino und seinen jüngsten Film „Django Unchained“, die ich an dieser Stelle gerne nochmals weiterempfehle. Zugleich eröffne ich hiermit die neue Rubrik „In den Medien“, in der ich in Zukunft immer wieder auf interessante Artikel hinweisen möchte.

Kevin B. Lee: „Death Tarantino style“ setzt sich mit dem Aspekt des Tötens in Tarantinos Filmen auseinander. Enthalten sind auch mehrere aufschlussreiche Statistiken zum Thema.

Indigo Bates: „Candide Unchained?“ wirft die Frage auf, ob Tarantinos eigentliche Vorlage für den Plot von „Django Unchained“ Voltaires 1759 erschienene Novelle „Candide“ sei.

20. März 2013

Die Oscars: Eine Apologie

Die Oscars – was sind schon die Oscars? Wenn man über die von der US-amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Sciences verliehenen Auszeichnungen zu sprechen kommt, dann wird man in unseren Breitengraden unter Kinoliebhabern häufig mit Groll und Verachtung ihnen gegenüber konfrontiert. Die Academy Awards hätten keine relevante Aussagekraft und würden von einer überalterten und anspruchslosen Institution an künstlerisch wertlose Filme vergeben – so oder ähnlich ein häufig zu hörender Kritikpunkt. Da ist Michael Hanekes inzwischen berühmt gewordenes Diktum, die Oscars hätten doch zumindest für den Vertrieb eine Bedeutung, da sie „jeder Bauer in Afghanistan“ kenne, geradezu noch schmeichelhaft.

Doch ist das wirklich so? Sind die Oscars und die damit ausgezeichneten Filme wirklich so schlecht wie ihr Ruf? Ich bin nicht davon überzeugt und möchte mir die Preisträger daher einmal genauer ansehen. Was jetzt kommt, steht natürlich in unmittelbarem Zusammenhang zu dem Geständnis, das ich am 7. März an dieser Stelle gemacht habe, und ich muss betonen, dass dies meine rein subjektive Einschätzung ist und ich jedem eine andere Meinung zugestehe.

Zuallererst muss ich natürlich eingestehen, dass man sich eigentlich jede Preiskategorie einzeln ansehen müsste, von denen jede wiederum ihre eigene Logik hat. Täte man dies, könnte man über Einzelentscheidungen sicher trefflich streiten. Auch ich bin mit vielen Entscheidungen der Academy nicht immer einverstanden. Aber hier und jetzt möchte ich mich nur mit jener Kategorie beschäftigen, die in der Öffentlichkeit die größte Resonanz erfährt: Bester Film. Ich stelle jetzt nicht die Frage, ob es im jeweiligen Jahr nicht noch andere Filme gegeben hat, welche die Auszeichnung möglicherweise mehr verdient hätten. Das mag schon sein. Mir geht es hier aber um die jeweiligen Filme selbst: Sind die ausgezeichneten Filme gute Filme? Würde ich guten Gewissens jemandem raten, sie sich anzusehen? Oder hat die Academy, wie Kritiker sagen würden, wieder einmal „ganze Arbeit geleistet und einen wertlosen Film ausgezeichnet“? 

Schon ein Blick auf die letzten zehn Verleihungen mag für manchen überraschend sein: „Argo“, „The Artist“, „The King’s Speech“, „The Hurt Locker“, „Slumdog Millionaire“, „No Country for Old Men“, „The Departed“, „L.A. Crash“, „Million Dollar Baby“, „Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“ – außer „Slumdog Millionaire“, dessen Auszeichnung wohl das Ergebnis eines kurzzeitigen Multikulti-Hypes war, sind das allesamt gute Filme. Natürlich gibt es hin und wieder auch Fehlentscheidungen – aber gibt es die nicht anderswo genauso? Davor kommt mit „Chicago“ ein Film, den ich selbst nicht gesehen habe, und weiter zurück geht es dann mit „A Beautiful Mind“, „Gladiator“, „American Beauty“, „Shakespeare in Love“, „Titanic“, „Der englische Patient“, „Braveheart“, „Forrest Gump“, „Schindlers Liste“, „Erbarmungslos“, „Das Schweigen der Lämmer“, „Der mit dem Wolf tanzt“, „Miss Daisy und ihr Chauffeur“, „Rain Man“, „Der letzte Kaiser“, „Platoon“, „Jenseits von Afrika“, „Amadeus“ und so weiter und so fort. Höre ich schon einen Einspruch? Ich selbst kann mich jedenfalls nicht beschweren.

Machen wir einen Seitenblick auf die großen Filmfestspiele, die ebenfalls renommierte Auszeichnungen vergeben. Mir ist natürlich klar, dass dieser Vergleich nicht ganz sauber ist, da die Ausgangslage eine andere ist. Auf der einen Seite haben wir eine Filmakademie, die den Anspruch hat, das gesamte Filmschaffen eines Jahres – wohlgemerkt in einem bestimmten Land – im Blick zu haben, auf der anderen Seite haben wir Festivals, deren Preise sich auf einen klar abgegrenzten Wettbewerb beschränken. Zudem ist bei vielen Filmfestspielen der künstlerische Anspruch (angeblich) ein höherer. Aber obwohl auch die Breitenwirkung des Oscars, wie mit dem Zitat Hanekes oben dargelegt, eine andere ist, so sind die Goldene Palme, der Goldene Löwe oder der Goldene Bär, so glaube ich zumindest, im Bewusstsein der Öffentlichkeit ebensolche Etiketten wie der Oscar.

Wenn ich mir die Listen der ausgezeichneten Filme in Cannes, Venedig und Berlin nun ansehe, dann muss ich zunächst einmal feststellen bzw. eingestehen, dass sich hier auch einige Titel finden, die ich nur vom Namen oder auch gar nicht kenne. Gleichzeitig entdecke ich – rein subjektiv betrachtet – aber auch den einen oder anderen Ausrutscher. Die Goldene Palme für „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ oder der Goldene Löwe für „Faust“ sind mir zum Beispiel nach wie vor ein Rätsel. Als Randbemerkung sei zudem daran erinnert, dass in Cannes auch solch ach so amerikanische Mainstreamfilme wie „Pulp Fiction“ mit der Goldenen Palme bedacht wurden; genauso wie Michael Haneke ist auch Quentin Tarantino ein Cannes-Liebling.

In diesem Zusammenhang würde ich auch gerne noch ein weiteres häufig gegen die Oscars ins Treffen geführtes Argument thematisieren: Die angeblich unausgewogene Zusammensetzung der Academy und die damit vorprogrammierten Entscheidungen. Bei den großen Festivals bestimmt eine Festivaldirektion im Prinzip im Alleingang, welche Handvoll Filme überhaupt im Wettbewerb gezeigt werden. Dann entscheidet eine Jury aus wenigen Personen, in erster Linie Filmschaffenden, nach mehr oder weniger intensiven Diskussionen und oft nach persönlichen Vorlieben und Bekanntschaften, wer die prestigeträchtigen Auszeichnungen mit nach Hause nehmen darf. Dem gegenüber obliegen die Nominierungen für die Oscars zunächst den jeweiligen Berufsgruppen innerhalb der Academy (Kameraleute für Beste Kamera, Schnittmeister für Besten Schnitt etc.), wenn nicht, wie etwa bei der Hauptkategorie Bester Film, gar gleich alle Mitglieder mitstimmen dürfen. Die endgültige Entscheidung über die Auszeichnungen treffen in geheimer Wahl jedenfalls alle Mitglieder der Academy, ca. 6000 an der Zahl. Nun frage ich: Warum sollte ein auf diese Weise demokratisch zustande gekommenes Ergebnis so viel schlechter sein als eine Festivaljuryentscheidung?

Dies soll kein Angriff auf die großen Filmfestspiele sein, die ich stets mit großem Interesse verfolge. Selbstverständlich werde ich mich auch weiterhin darum bemühen, mir Filme, die in den Wettbewerben von Cannes, Berlin oder Venedig laufen, im Kino anzusehen. Doch ich wüsste nicht, warum ich die gleiche vorauseilende Wertschätzung nicht ebenso den Oscar-Gewinnern entgegenbringen sollte.

19. März 2013

„Hitchcock“ (2012, Sacha Gervasi)

Ich hoffe, die Leserschaft verzeiht mir: Ich sollte hier über meinen letzten Kinobesuch schreiben, kann mich aber derzeit überhaupt nicht motivieren, etwas Produktives oder gar Elegantes abzufassen. Deshalb nur in aller Kürze:

Ähnlich wie „Lincoln“ ist auch „Hitchcock“ keine herkömmliche Filmbiographie seines Titelhelden sondern die Schilderung einer Episode aus dessen Leben. Im konkreten Fall ist dies der Entstehungsprozess von „Psycho“, Alfred Hitchcocks größtem kommerziellen Erfolg, in den Jahren 1959 und 1960. Dabei bildet die Arbeit Hitchcocks (Anthony Hopkins) mit den Schauspielern Janet Leigh (Scarlett Johansson), Vera Miles (Jessica Biel) und Anthony Perkins (James D’Arcy) den Hintergrund für eine private Krise mit seiner Ehefrau Alma Reville (Helen Mirren).

Persönlich habe ich mich von „Hitchcock“ sehr gut unterhalten gefühlt, doch ob der Film auch dann noch wirkt, wenn man mit den unzähligen kleinen Anspielungen nicht so viel anfangen kann, bin ich mir nicht sicher. Sollten Sie aber Hitchcocks Filme kennen und schätzen, dann ist „Hitchcock“ es wert, von Ihnen gesehen zu werden.

7. März 2013

Ein Geständnis: Ich bin ein Hollywoodianer!

Ich muss ein Geständnis ablegen, dass für viele wahrscheinlich gar nicht so überraschend kommt: Ich bin ein Hollywoodianer!
 
Damit habe ich nun wohl bei vielen Cinephilen den letzten Rest an Ansehen verloren, doch es musste einfach einmal gesagt werden. Ich weiß nicht, was es genau ist, aber Produktionen aus den Vereinigten Staaten (die natürlich nicht ausschließlich aus Hollywood kommen, doch trotzdem meist irgendwie mit dem System zusammenhängen) sagen mir einfach am meisten zu. Das heißt nicht, dass ich nicht hin und wieder gerne in das Filmschaffen Englands (sofern man das überhaupt noch auseinanderdividieren kann), Frankreichs oder Italiens eintauche. Aber mein Hauptinteresse liegt prinzipiell eindeutig auf amerikanischen Filmen. Hingegen ist mir peinlicherweise das skandinavische Kino fast völlig fremd, ebenso wie das japanische (mit Ausnahme Kurosawas) und viele andere Nationalkinos. Selbst im österreichischen und deutschen Film bin ich nicht sehr firm.

Und warum auch nicht? Natürlich sehe ich gerne Filme von Godard, Audiard und Kassovitz, von Fellini, Visconti und Leone. Aber was ist falsch an Scorsese, Fincher, Mann, Hitchcock, Kubrick, Coppola (beide), den Coens, Soderbergh oder Jarmusch? Oder auch an Hawks, Ford, Spielberg, Stone, Tarantino, Howard, Mangold oder Scott (Ridley und, ja, auch Tony)? Warum soll man sich als Cinephiler nur für rumänische Sozialdramen und thailändische Avantgarde interessieren dürfen? Warum darf man seinen Fokus nicht auch auf die USA richten?

Natürlich gibt es auch die unerträglichen Produkte Hollywoods – wobei die Meinungen, was darunter zu verstehen ist, wohl auseinander gehen werden – aber die gibt es doch auch anderswo. Und alle amerikanischen Filme über einen Kamm zu scheren, erscheint mir allein schon aufgrund der Masse an Produktionen unangebracht.

Warum aber nun diese Selbstbloßstellung? Nun, weil mir leider immer wieder eine gewisse Voreingenommenheit „seriöser“ Kinogeher gegenüber dem amerikanischen Film begegnet. Ich verlange ja nicht, dass sich jeder für Hollywood-Produktionen begeistern oder sein Kinoverhalten verändern muss. Man kann nicht alles sehen im Leben und in irgendeiner Weise muss jeder für sich entscheiden, wie er oder sie sich daher einschränkt. Aber ich würde mir wünschen, dass amerikanische Filme nicht immer automatisch als das Mieseste vom Miesen oder der Dreck unter den Fingernägeln angesehen werden. Ich wünsche mir einfach eine differenzierte Beurteilung.

3. März 2013

„Winter’s Bone“ (2010, Debra Granik)

Manche Leute mögen mit dem Oscar für Jennifer Lawrence vor einer Woche für ihre Rolle in „Silver Linings“ nicht einverstanden sein – ich gehöre übrigens nicht dazu – doch wer an ihren Fähigkeiten als Schauspielerin zweifelt, der möge sich „Winter’s Bone“ ansehen, jenen Film, der ihr 2011 ihre erste Oscar-Nominierung einbrachte. Darin spielt Lawrence die siebzehnjährige in ärmlichen Verhältnissen lebende Ree, die sich im ländlichen Missouri um ihre depressive Mutter und ihre beiden jüngeren Geschwister kümmern muss. Um nicht aus ihrem ohnedies kümmerlichen Haus delogiert zu werden, macht sie sich in ihrer White trash-Umgebung auf die Suche nach ihrem Vater.

„Winter’s Bone“, Sozialdrama und spannender Thriller in einem, ist durch seinen erschreckenden Realismus unangenehm anzusehen; lichte Momente gibt es in Rees Leben keine. Sämtliche Darsteller, unter denen auch einige Laienschauspieler sind, beweisen hier Mut zur Hässlichkeit, der Respekt verdient. Als Leuchtfeuer voran schreitet ihnen Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence mit einer Performance, die manche Kritiker (auch aus den eigenen Reihen) eigentlich noch auf längere Zeit verstummen lassen sollte. Dieser Film ist ein Muss!