29. August 2012

„Alien“ (1979, Ridley Scott), „Aliens – Die Rückkehr“ (1986, James Cameron), „Alien 3“ (1992, David Fincher), „Alien – Die Wiedergeburt“ (1997, Jean-Pierre Jeunet)

Wie sicherlich viele andere in diesem Sommer, habe ich mir als Vorbereitung auf „Prometheus“ nun alle vier Teile der „Alien“-Tetralogie angesehen – zu meiner Schande hatte ich bisher nur den ersten Film gekannt. Es fehlt mir leider die Zeit, um auf jeden der Filme in extenso einzugehen, doch möchte ich ein paar allgemeine Betrachtungen anstellen.

Die einzelnen Filme könnten sich nicht stärker voneinander unterscheiden. Offiziell handelt es sich um eine zusammenhängende Reihe, doch beim Vergleichen bleibt nicht viel mehr als die Hauptfigur Ellen Ripley (Sigourney Weaver), um die Filme miteinander zu verknüpfen. Selbst die titelgebenden Aliens unterscheiden sich von Film zu Film in gewisser Weise. Nicht zuletzt die vier unterschiedlichen Regisseure der Filme haben dies wohl zu verantworten.

Ridley Scott ist es mit seinem Debütfilm „Alien“ gelungen, ein ganz klassisches Horrorfilm-Szenario auf Science-Fiction zu übertragen. Man nehme statt eines Vorstadthauses einen Raumfrachter, statt ein paar Teenies eine zusammengewürfelte Besatzung und ersetze den Psychopathen oder die Zombies durch ein mordlüsternes extraterrestrisches Wesen. Mit einfachsten Mitteln gelingen Scott maximale Effekte. Hingegen ist es bei „Aliens – Die Rückkehr“ nicht das Horrorgenre, bei welchem sich dessen Regisseur James Cameron bedient, sondern der Kampfeinsatz-Actionfilm. Dieses Mal wird eine Marinekampfeinheit, zusammengesetzt aus den klassischen Individuen, auf die Jagd nach dem Feind geschickt. Irgendwie wirkt diese Konstellation ein wenig absurd, doch unterhaltsam ist der Film nichtsdestotrotz – ein Film der 1980er.

Auch für David Fincher war die Reihe mit „Alien 3“ sein Spielfilmdebüt. Doch auch wenn Fincher – wie regelmäßige Leser dieses Blogs sicher wissen – zu meinen Lieblingsregisseuren zählt, so kann ich ihm im Gegensatz zu den beiden zuvorgenannten Regisseuren leider nicht zugestehen, einen guten Film gedreht zu haben. In einem für die 1990er-Jahre typischen postapokalyptischen Szenario, wie wir es aus Kevin Costner-Filmen kennen, wechseln sich pseudoreligiöses Gelaber und wirre Längen ab. Jean-Pierre Jeunets einziger nichtfranzösischer Film „Alien – Die Wiedergeburt“, der als Groteske angelegt ist, ist dann nur noch merkwürdig, verwirrend und kann meiner Meinung nach nicht viel.

Obwohl vier Filme einer Reihe, gehören die „Alien“-Filme ganz unterschiedlichen Genres an und stehen jeder – einmal besser, einmal schlechter – für sich alleine da. Dies wird noch verstärkt durch den zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen Filmen. Wirklich gut ist für meinen Geschmack nur der erste Film, doch auch der zweite Teil ist sehenswert. Dies gilt übrigens auch für die Effekte, die 1979 einfach simpel aber gut waren; das CGI der späteren Filme lässt einen (zumindest retrospektiv) nur mit dem Kopf schütteln.

„360“ (2012, Fernando Meirelles)

Da kann man noch so abgeklärt sein und sich als Weltmensch geben – wenn die eigene Heimatstadt in einer internationalen Filmproduktion eine ganz wesentliche Rolle einnimmt, dann wird man schnell zum Lokalpatrioten. So war es schon allein deshalb ein Gebot der Stunde, sich Fernando Meirelles’ neuesten Film „360“ im Kino anzusehen. Dass dieser dann auch noch eine moderne Adaptierung von Arthur Schnitzlers „Reigen“ ist, machte den Kinobesuch zu einer angenehmen Pflicht.

Ausgangspunkt ist Wien, wo eine junge Slowakin (Lucia Siposová) von einem skrupellosen österreichischen Zuhälter (Johannes Krisch) in die Prostitution gelockt wird. Mit ihrem ersten Kunden, einem britischen Handlungsreisenden (Jude Law), beginnt sich der Reigen zu drehen, der uns nach London, Paris, Denver und wieder retour nach Wien führt. Teilnehmer dieses Tanzes sind unter anderem ein deutscher Geschäftsmann (Moritz Bleibtreu), eine britische Moderadakteurin (Rachel Weisz), ein brasilianischer Photograph (Juliano Cazarré) und dessen Freundin (Maria Flor), ein alter Mann auf der Suche nach seiner verschwundenen Tochter (Anthony Hopkins), ein Sexualstraftäter (Ben Foster), ein algerisch-französischer Zahnarzt (Jamel Debbouze), dessen russische Assistentin (Dinara Drukarova), deren für die Mafia arbeitender Ehemann (Vladimir Vdovichenkov) sowie die Schwester der eingangs erwähnten Prostituierten (Gabriela Marcinkova).

Schon allein aufgrund der Form des ursprünglichen Theaterstücks wäre „360“ prädestiniert gewesen, sich in die Gruppe unzähliger Episodenfilme zum Thema Liebe einzureihen, wie sie in den letzten Jahren, ausgehend von „Paris, je t’aime“ (2006), stark in Mode gekommen sind. Glücklicherweise ist die Handlung, für welche Drehbuchautor und Wahlwiener Peter Morgan verantwortlich zeichnet, um einiges komplexer, als sie für einen einfachen Episodenfilm sein dürfte. Irgendwie sind hier nämlich alle mit allen verbunden. Auch trennt sich „360“ ein wenig vom rein sexuellen Akt als Verbindungsstück und spinnt seine Erzählung auf ganz unterschiedlichen Ebenen dessen, was Liebe bedeuten kann.

Zugegeben, der Film hat manchmal auch seine Längen. Doch dafür entschädigen nicht nur die erfrischend ungewohnten Einstellungen von Wien, das unter den verschiedenen Handlungsorten eindeutig die bevorzugte Stellung einnimmt. „360“ steht und fällt, wie alle Ensemblefilme, mit den Leistungen seiner Schauspielerinnen und Schauspieler – und diese sind durch die Bank hervorragend.

Meirelles’ Film ist vielleicht kein Highlight dieses Jahres, aber sehenswert ist er allemal.

11. August 2012

Sight & Sound: The Greatest Films of All Time

Sie sind da! Seit ungefähr zwei Jahren freue ich mich darauf und nun ist es soweit: In der aktuellen Ausgabe von „Sight & Sound“ werden die Ergebnisse der alle zehn Jahre durchgeführten Umfrage nach den besten Filmen aller Zeiten präsentiert und genauestens analysiert. Die Top 10-Listen gelten in der Fachwelt aufgrund des Renommees der Zeitschrift und des Alters der Umfrage (seit 1952) als die aussagekräftigste Einschätzung dessen, was der ultimative Filmkanon ist bzw. sein soll. Auch außerhalb eines eingeschworenen Filmliebhaberkreises berüchtigt ist die Rolle von Orson Welles’ „Citizen Kane“ (1941), der die Liste seit 1962 anführt.
 
Das Prozedere war das folgende: Kritiker, Programmmacher, Akademiker, Verleiher, Publizisten und andere Cinephile (unter Regisseuren gibt es seit 1992 eine eigene S&S-Liste, deren Ergebnis ich zur besseren Lesbarkeit meines Beitrags und aufgrund ihrer geringeren Bedeutung hier nicht behandeln werde) wurden eingeladen, zehn Filme in beliebiger Reihenfolge zu nennen, die aus ihrer Sicht die besten sind. Die Definition dessen, was das Beste ist, wurde jedem persönlich überlassen – Kriterien konnten die Bedeutung für die Filmgeschichte, die ästhetische Bravur oder der Einfluss auf die jeweils eigene Sichtweise des Kinos sein. Im Gegensatz zu früheren Umfragen sollten Filme einer Reihe erstmals eigenständig behandelt werden (wie übrigens auch bei der von mir im Frühjahr durchgeführten Umfrage). Die Summe der zunächst nicht gereihten Nennungen eines Filmes ergab die Platzierung innerhalb der Liste. Die Zahl der Jurorinnen und Juroren wurde von S&S diesmal radikal erweitert: Statt 145 eingelangten Einzellisten im Jahr 2002 waren es dieses Mal 846 (insgesamt wurden ca. 1.000 Personen zur Teilnahme eingeladen), wobei auch eine bewusste Erweiterung des Spektrums angestrebt wurde. Aufgrund dieser höheren Teilnehmerzahl – es wurden dadurch insgesamt 2.045 verschiedene Filmtitel genannt – konnte die Liste von einer Top-10-Liste zu einer Top-100-Liste ausgebaut werden.

Die besten zehn Filme aller Zeiten laut diesjähriger Umfrage sind:
Platz 1: „Vertigo“ (1958, Alfred Hitchcock) [191 Nennungen]
Platz 2: „Citizen Kane“ (1941, Orson Welles) [157]
Platz 3: „Die Reise nach Tokyo“ (1953, Yasujirō Ozu) [107]
Platz 4: „Die Spielregel“ (1939, Jean Renoir) [100]
Platz 5: „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ (1927, F. W. Murnau) [93]
Platz 6: „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968, Stanley Kubrick) [90]
Platz 7: „Der Schwarze Falke“ (1956, John Ford) [78]
Platz 8: „Der Mann mit der Kamera“ (1929, Dziga Vertov) [68]
Platz 9: „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ (1927, Carl Theodor Dreyer) [65]
Platz 10: „Achteinhalb“ (1963, Federico Fellini) [64]

Die wohl bemerkenswerteste Tatsache dieses Ergebnisses ist der Umstand, dass die genannten Filme trotz der umfassenden Erweiterung und Veränderung der Jury im Prinzip die gleichen geblieben sind. Von den Filmen, die 1982, 1992 bzw. 2002 in den Top-10-Listen waren, sind fast alle dieses Jahr zumindest unter den Top 20. Große Ausnahme sind „Der Pate“ (1972, Francis Ford Coppola) und „Der Pate – Teil II“ (1974, Francis Ford Coppola), die durch ihre (zurecht erfolgte) Behandlung als zwei verschiedene Filme nun leider nur noch Platz 21 bzw. Platz 31 belegen (nach altem Schema wären sie auf Platz 7 gelegen). Von den diesjährigen Top 10 waren sieben auch in der letzten Liste vertreten, zwei weitere zwar nicht 2002, aber immerhin noch 1992, und lediglich ein Film, nämlich „Der Mann mit der Kamera“, noch nie unter den ersten zehn. In gewisser Weise ist dies schön, unterstreicht es doch auch die Aussagekraft der bisherigen Umfrageergebnisse.
Persönlich finde ich das Resultat der Umfrage äußerst spannend, lassen sich doch noch eine ganze Reihe von Beobachtungen anstellen. Von den Top 10 habe ich bisher leider nur vier Filme sehen können, was verhältnismäßig auch der Top-100-Liste entspricht (39 von 100 Filmen). Zwar wird meine Aufarbeitung in Kürze beginnen, doch wird hier bereits ein Problem der Liste (der bisherigen wie auch der gegenwärtigen) sichtbar, jenes der Zugänglichkeit. „Die Spielregel“ und „Sonnenaufgang“ sind derzeit beispielsweise gar nicht auf DVD erhältlich, andere Filme nur mit Mühen und zu nicht geringem Preis zu beschaffen.
Doch auch zwei Worte der Enttäuschung seien hier ausgesprochen. Zum einen betrifft diese die Alterstruktur der Filme. Ich bin auch der Meinung, dass sich Filme erst eine gewisse Zeit bewähren müssen, bevor sie ohne Bedenken in einen Allzeit-Kanon aufgenommen werden können. Dass der jüngste Film in den Top 10 aus dem Jahr 1968 ist, finde ich deshalb auch gar nicht so schlimm. Irritierend finde ich aber, dass die gesamten letzten 30 Jahre leicht unterrepräsentiert sind. In den Top 100 sind nur sechs Filme aus den 1980er-Jahren (nur drei nach 1982), fünf Filme aus den 1990ern und drei Filme aus den 2000ern; ergibt in Summe elf Filme der letzten 30 Jahre! Enttäuschend finde ich aber auch die ganz konkrete Reihenfolge der Top 10. Ich liebe „Citizen Kane“, hätte aber durchaus Verständnis für seine Ablöse haben können. Aber „Vertigo“?! Auch dieser ohne Frage ein guter Film. Doch schon unter den Hitchcock-Filmen bevorzuge ich einige andere, allen voran natürlich „Das Fenster zum Hof“ (1954). Keinesfalls aber ist „Vertigo“ meiner Meinung nach besser als „Citizen Kane“. Dieser hätte es durchaus verdient, von einem anderen Film vom Thron gestoßen zu werden!
Zum Abschluss möchte ich aber doch noch versöhnliche Töne anschlagen: Man mag solchen kanonischen Listen kritisch gegenüberstehen– gerade S&S ist hier durchaus sehr selbstreflexiv – aber unbestreitbar haben sie einen Aussagewert über das heutige Filmverständnis. Auch wenn man mit den Ergebnissen im Einzelnen oder im Gesamten nicht zufrieden sein mag, so lohnt es sich meiner Meinung nach für den filmliebenden Menschen doch, sie als Richtschnur für das eigene Betrachtungsprogramm heranzuziehen.
In der aktuellen Ausgabe (September 2012) widmet Sight & Sound der Umfrage ganze 32 Seiten, doch auch auf der Homepage der Zeitschrift kommt die Aufarbeitung mit Gesamt- und Detailergebnissen (inklusive sämtlicher Einzelnennungen, ab 15. August 2012) und Analysen nicht zu kurz.

3. August 2012

„The Dark Knight Rises“ (2012, Christopher Nolan)

Schon wieder ein Film, den ich mir durch die zu hohen Erwartungen kaputt gemacht habe? Seit über einem Jahr habe ich auf Christopher Nolans Abschluss seiner Batman-Trilogie hingefiebert – und nun bin ich unschlüssig, wie ich mit dem Resultat umgehen soll.

Durch das Vermächtnis des heroisierten Harvey Dents ist Gotham City zu einem besseren Ort geworden, in welchem kein Platz mehr für den geächteten Batman ist. Dementsprechend hat sich Bruce Wayne (Christian Bale) in die Einsamkeit seines Anwesens zurückgezogen, wo er einzig und allein mit seinem Butler Alfred (Michael Caine) Kontakt hat. Die katzenhafte Diebin Selina Kyle (Anne Hathaway) lockt Wayne etwas aus der Reserve, gleichzeitig versucht er sein Unternehmen mit Hilfe von Lucius Fox (Morgan Freeman) und Miranda Tate (Marion Cotillard) auf neue Beine zu stellen. Doch erst das Auftreten des maskierten Terroristen Bane (Tom Hardy) macht einen erneuten Einsatz Batmans erforderlich. Von einer Mehrheit fälschlicherweise als Mörder angesehen, zählen zu seinen wenigen Unterstützern Commissioner Jim Gordon (Gary Oldman) und der junge Streifenpolizist John Blake (Joseph Gordon-Levitt). Und nach all diesen Ausführungen sind wir eigentlich noch relativ am Anfang von „The Dark Knight Rises“.

Die Handlung des Films ist, wie man sieht, recht komplex und geht auch so manchen unnötig erscheinenden Umweg. Gerade am Anfang werden viele verschiedene Handlungsstränge eröffnet, die aber gleichzeitig sehr verkürzt erscheinen, sodass es einem leicht passieren kann, etwas Relevantes zu verpassen. Eine weitere Schwäche des Films – zumindest für meinen Geschmack – ist die geringe Präsenz Batmans. Selbst dann, wenn Christian Bale auf der Leinwand zu sehen ist, ist er es meist als Bruce Wayne. Ist es aber bei aller Seriosität nicht auch das kindliche Vergnügen an einem Helden, seinen Tricks und Ausrüstungsgegenständen, das uns eigentlich in die Kinos lockt? Außerdem muss bemängelt werden, dass sich der Film manchmal in etwas merkwürdigen Szenen verliert. Ich bin der letzte, der sich bei solchen Filmen beschwert, dass das Erzählte „unrealistisch“ sei – immerhin handelt es sich immer noch um eine Comic-Verfilmung. Aber wenn eine kleine Armee von Polizisten sich in Reih und Glied den Terroristen entgegenbewegt, um dann in einer Straßenschlägerei die Fäuste sprechen zu lassen, dann hat das doch etwas Skurriles!

Schauspielerisch lässt Nolan hingegen wieder einmal (fast) keine Wünsche offen, stehen ihm doch die bewährten Darsteller aus den ersten beiden Teilen zur Seite. Interessanterweise greift er auf nicht weniger als fünf Kollaborateure aus seinem letzten Film „Inception“ zurück: Neben Regular Caine (auch „Prestige“) und Cillian Murphy, der in einem Kurzauftritt abermals seine Rolle als Jonathan Crane verkörpert, sind dies Hardy, Gordon-Levitt und Cotillard. Letztere mag eine gute Schauspielerin sein, ich stelle aber zum wiederholten Male fest, dass ich sie scheinbar einfach nicht ertrage. Hathaway bietet eine meiner Meinung nach gelungene Darstellung der Catwoman – wobei ich mich eigentlich nicht erinnern kann, ob sie im Film  jemals so genannt wird.

Am stärksten ist „The Dark Knight Rises“ dann, wenn er eine geschlossene Stadt im Ausnahmezustand schildert. Ganz klare Anleihen nimmt er dabei bei den historischen Ereignissen nach der französischen bzw. der russischen Revolution. So funktioniert der Film auch am besten als Dystopie über Totalitarismus und die Herrschaft eines neidenden Volkes. Als Abschlussfilm einer Trilogie, dem die beiden hervorragenden Filme „Batman Begins“ und „The Dark Knight“ vorangegangen sind, enttäuscht „The Dark Knight Rises“ leider. Für sich alleine betrachtet ist er aber schon in Ordnung. Anschauen sollte man in sich jedenfalls, und sei es allein deshalb, weil Christopher Nolan ganz auf 3D verzichtet hat – heutzutage bei Actionfilmen keine Selbstverständlichkeit mehr!