23. Februar 2013

Oscar-Verleihung 2013: Tipps & Wünsche

Morgen, am Sonntag, dem 24. Februar 2013, werden die diesjährigen Academy Awards vergeben. Im Folgenden finden sich sämtliche Nominierungen sowie meine Tipps und meine Wünsche. Ist mir eine Aussage nicht möglich, dann lasse ich es sein. Kursiv wiedergegeben werden jene Filme, die ich bereits gesehen habe, und das sind dieses Jahr gar nicht so wenige. Es ist fast unglaublich, dass sämtliche Filme, die in den Hauptkategorien nominiert sind, in Österreich bereits im Kino zu sehen waren. Das kommt wahrlich nicht oft vor!

Bester Film
„Amour“
„Argo“
„Beasts of the Southern Wild“
„Django Unchained“
„Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“
„Lincoln“
„Les Misérables“
„Silver Linings“
„Zero Dark Thirty“
Ich bin ja schon höchst zufrieden, dass „Amour“ nominiert wurde; bereits im Herbst hatte ich es vorhergesehen, damals wollte mir aber niemand glauben. Verdient hätte es Hanekes Film auch zu gewinnen, aber so sehr bin ich dann doch Realist. „Silver Linings“ wäre eine überraschende aber durchaus gerechtfertigte Wahl. Die Entscheidung wird aber zwischen „Argo“ (was in Ordnung wäre) und „Lincoln“ fallen, mit klaren Vorteilen für letzteren Film. „Life of Pi“ hat auf dieser Liste meiner Meinung nach nichts verloren.
Tipp: „Lincoln“. Wunsch: „Amour“.

Beste Regie
Michael Haneke – „Amour“
Ang Lee – „Life of Pi“
David O. Russell – „Silver Linings“
Steven Spielberg – „Lincoln“
Benh Zeitlin – „Beasts of the Southern Wild“
Tipp: Steven Spielberg. Wunsch: Michael Haneke oder David O. Russell.

Bester Hauptdarsteller
Bradley Cooper – „Silver Linings“
Daniel Day-Lewis – „Lincoln“
Hugh Jackman – „Les Misérables“
Joaquín Phoenix – „The Master“
Denzel Washington – „Flight“
Dies ist eine der wenigen Kategorien, bei denen das Ergebnis mehr oder weniger klar vorherzusehen ist. Daniel Day-Lewis wird schon alleine deshalb gewinnen, weil die Darstellung historischer Persönlichkeiten bei den Oscars stets einen Startvorteil bedeutet. Und hervorragend ist er auch, keine Frage.
Tipp: Daniel Day-Lewis.

Beste Hauptdarstellerin
Jessica Chastain – „Zero Dark Thirty“
Jennifer Lawrence – „Silver Linings“
Emmanuelle Riva – „Amour“
Quvenzhané Wallis – „Beasts of the Southern Wild“
Naomi Watts – „The Impossible“
Ein Oscar für Riva als älteste Preisträgerin überhaupt erscheint mir möglich, wahrscheinlicher ist aber ein – verdienter – Sieg für Lawrence.
Tipp: Jennifer Lawrence. Wunsch: Emmanuelle Riva oder Lawrence.

Bester Nebendarsteller
Alan Arkin – „Argo“
Robert De Niro – „Silver Linings“
Philip Seymour Hoffman – „The Master“
Tommy Lee Jones – „Lincoln“
Christoph Waltz – „Django Unchained“
Die in dieser Kategorie nominierten sind allesamt hervorragende Schauspieler (und alle fünf bereits Oscar-Preisträger!), die in ihren jeweiligen Rollen auch herausragend waren. Dennoch schätze ich Waltz’ Leistungen am höchsten ein, gefolgt von Hoffman. Die größten Chancen hat aber, glaube ich, Jones.
Tipp: Tommy Lee Jones. Wunsch: Christoph Waltz.

Beste Nebendarstellerin
Amy Adams – „The Master“
Sally Field – „Lincoln“
Anne Hathaway – „Les Misérables“
Helen Hunt – „The Sessions – Wenn Worte berühren“
Jacki Weaver – „Silver Linings“
Von den drei von mir gesehenen Schauspielerinnen hat mich keine so sehr beeindruckt, dass ich ihr die Auszeichnung zusprechen würde. Im Gegenteil, ich hoffe, dass Field nicht gewinnt. Der Oscar, so sind sich die meisten Beobachter sicher, wird wohl an Hathaway gehen.
Tipp: Anne Hathaway.

Bestes Originaldrehbuch
„Amour“ – Michael Haneke
„Django Unchained“ – Quentin Tarantino
„Flight“ – John Gatins
„Moonrise Kingdom“ – Wes Anderson, Roman Coppola
„Zero Dark Thirty“ – Mark Boal
Hier könnten Wes Anderson und Roman Coppola für „Moonrise Kingdom“ durchaus siegreich sein – wünschen würde ich es ihnen. Verdient hätten es aber auch Haneke, Tarantino oder Boal.
Tipp: Wes Anderson, Roman Coppola. Wunsch: Michael Haneke.

Bestes adaptiertes Drehbuch
„Argo“ – Chris Terrio
„Beasts of the Southern Wild“ – Lucy Alibar, Benh Zeitlin
„Life of Pi“ – David Magee
„Lincoln“ – Tony Kushner
„Silver Linings“ – David O. Russell
Ich vermute, die Auszeichnung wird an Tony Kushner für „Lincoln“ gehen.
Tipp: Tony Kushner.

Bester Animationsfilm
„Merida – Legende der Highlands“ („Brave“) – Mark Andrews, Brenda Chapman
„Frankenweenie“ – Tim Burton
„ParaNorman“ – Sam Fell, Chris Butler
„Die Piraten! – Ein Haufen merkwürdiger Typen“ („The Pirates! Band of Misfits“) – Peter Lord
„Ralph reichts“ („Wreck-It Ralph“) – Rich Moore
Ich habe keinen der Filme gesehen, doch allein die Tatsache, dass „Frankenweenie“ alte Hollywood-Traditionen aufgreift, spricht in der Logik der Academy für ihn.
Tipp: „Frankenweenie“.

Bester fremdsprachiger Film
„Die Königin und der Leibarzt“ (Dänemark) – Regie: Nikolaj Arcel
„Kon-Tiki“ (Norwegen) – Regie: Joachim Rønning und Espen Sandberg
„Amour“ (Österreich) – Regie: Michael Haneke
„No“ (Chile) – Regie: Pablo Larraín
„War Witch“ (Kanada) – Regie: Kim Nguyen
Allein die Tatsache, dass „Amour“ auch als Bester Film nominiert wurde, sagt eigentlich schon alles.
Tipp & Wunsch: „Amour“.

Bester animierter Kurzfilm
„Adam and Dog“ – Minkyu Lee
„Fresh Guacamole“ – PES
„Head over Heels“ – Timothy Reckart, Fodhla Cronin O’Reilly
„Der längste Kita Tag“ („The Longest Daycare“) – David Silverman
„Im Flug erobert“ („Paperman“) – John Kahrs

Bester Kurzfilm
„Asad“ – Bryan Buckley, Mino Jarjoura
„Buzkashi Boys“ – Sam French, Ariel Nasr
„Curfew“ – Shawn Christensen
„Death of a Shadow“ – Tom Van Avermaet, Ellen De Waele
„Henry“ – Yan England

Bestes Szenenbild
„Anna Karenina“ – Sarah Greenwood, Katie Spencer
„Der Hobbit – Eine unerwartete Reise“ („The Hobbit: An Unexpected Journey“) – Dan Hennah, Ra Vincent, Simon Bright
„Les Misérables“ – Eve Stewart, Anna Lynch-Robinson
„Life of Pi“ – David Gropman, Anna Pinnock
„Lincoln“ – Rick Carter, Jim Erickson
Die Auszeichnung wird, glaube ich, an „Lincoln“ gehen, vielleicht aber auch an „Anna Karenina“.
Tipp: „Lincoln“.

Beste Kamera
„Anna Karenina“ – Seamus McGarvey
„Django Unchained“ – Robert Richardson
„Life of Pi“ – Claudio Miranda
„Lincoln“ – Janusz Kamiński
„James Bond 007: Skyfall“ – Roger Deakins
Dies könnte verdientermaßen den dritten Oscar für Janusz Kamiński bedeuten, aber auch die tollen Stimmungen von Roger Deakins wären ein legitimer Auszeichnungsgrund.
Tipp: „Lincoln“. Wunsch: „James Bond 007: Skyfall“ oder „Lincoln“.

Bestes Kostümdesign
„Anna Karenina“ – Jacqueline Durran
„Les Misérables“ – Paco Delgado
„Lincoln“ – Joanna Johnston
„Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen“ („Mirror Mirror“) – Eiko Ishioka
„Snow White and the Huntsman“ – Colleen Atwood
Ohne ihn gesehen zu haben, glaube ich, dass „Anna Karenina“ diesen Oscar gewinnen wird.
Tipp: „Anna Karenina“.

Bester Dokumentarfilm
„5 Broken Cameras“ – Emad Burnat, Guy Davidi
„The Gatekeepers“ – Dror Moreh, Philippa Kowarsky, Estelle Fialon
„How to Survive a Plague“ – David France, Howard Gertler
„The Invisible War“ – Kirby Dick, Amy Ziering
„Searching for Sugar Man“ – Malik Bendjelloul, Simon Chinn

Bester Dokumentar-Kurzfilm
„Inocente“ – Sean Fine, Andrea Nix Fine
„Kings Point“ – Sari Gilman, Jedd Wider
„Mondays at Racine“ – Cynthia Wade, Robin Honan
„Open Heart“ – Kief Davidson, Cori Shepherd Stern
„Redemption“ – Jon Alpert, Matthew O'Neill

Bester Schnitt
„Argo – William Goldenberg
„Life of Pi“ – Tim Squyres
„Lincoln“ – Michael Kahn
„Silver Linings“ – Jay Cassidy, Crispin Struthers
„Zero Dark Thirty“ – Dylan Tichenor, William Goldenberg
Alleine schon für die fast halbstündige Sequenz am Ende des Films, in der die Erstürmung von Osama bin Ladens Haus dargestellt wird, hätte sich in dieser Kategorie „Zero Dark Thirty“ den Oscar verdient.
Tipp & Wunsch: „Zero Dark Thirty“.

Bestes Make-Up und beste Frisuren
„Hitchcock“ – Howard Berger, Peter Montagna, Martin Samuel
„Der Hobbit – Eine unerwartete Reise“ – Peter Swords King, Rick Findlater, Tami Lane
„Les Misérables“ – Lisa Westcott, Julie Dartnell
Hier wird wahrscheinlich „Der Hobbit“ gewinnen.
Tipp: „Der Hobbit“.

Beste Filmmusik
„Anna Karenina“ – Dario Marianelli
„Argo“ – Alexandre Desplat
„Life of Pi“ – Mychael Danna
„Lincoln“ – John Williams
„James Bond 007: Skyfall“ – Thomas Newman
Persönlich würde ich Alexandre Desplat endlich einen Oscar wünschen, wobei ich anstelle von „Argo“ eher die Musik zu „Zero Dark Thirty“ hier vermutet hätte. Ebenfalls verdient hätte es John Williams, aber der hat doch schon fünf Glatzköpfe zuhause stehen – fairerweise muss man aber dazusagen, dass er seinen letzten Oscar vor zwanzig Jahren gewonnen hat.
Tipp: „Argo“. Wunsch: „Argo“ oder „Lincoln“.

Bester Filmsong
„Before My Time“ aus „Chasing Ice“ – Joshua Ralph
„Everybody Needs A Best Friend“ aus „Ted“ – Walter Murphy, Seth MacFarlane
„Pi’s Lullaby“ aus „Life of Pi“ – Mychael Danna, Bombay Jayashri
„Skyfall“ aus „James Bond 007: Skyfall“ – Adele Adkins, Paul Epworth
„Suddenly“ aus „Les Misérables“ – Claude-Michel Schönberg, Herbert Kretzmer, Alain Boublil
Diese Auszeichnung muss eigentlich an „Skyfall“ gehen, denn es ist nicht nur ein sehr eingängiges Lied sondern auch eine Verneigung vor der großartigen Bond-Musik und den Bond-Liedern eines John Barry.
Tipp & Wunsch: „James Bond 007: Skyfall“.

Bester Ton
„Argo“ – John Reitz, Gregg Rudloff, Jose Antonio Garcia
„Les Misérables“ – Lon Bender, Andy Nelson, Mark Paterson, Simon Hayes
„Life of Pi“ – Ron Bartlett, D.M. Hemphill, Drew Kunin
„Lincoln“ – Andy Nelson, Gary Rydstrom, Ronald Judkins
„James Bond 007: Skyfall“ – Scott Millan, Greg P. Russell, Stuart Wilson
Den Ton zu beurteilen ist für den Laien, wie ich finde, besonders schwer. Ich glaube dass die Auszeichnung an „Life of Pi“ gehen wird.
Tipp: „Life of Pi“.

Bester Tonschnitt
„Argo“ – Erik Aadahl, Ethan Van der Ryn
„Django Unchained“ – Wylie Stateman
„Life of Pi“ – Eugene Gearty, Philip Stockton
„James Bond 007: Skyfall“ – Per Hallberg, Karen Baker Landers
„Zero Dark Thirty“ – Paul N.J. Ottosson
Hier einen Oscar für „Django Unchained“ fände ich sehr lustig – und keineswegs unverdient! Wahrscheinlicher ist es aber, dass die Auszeichnung an „Life of Pi“ geht.
Tipp: „Life of Pi“. Wunsch: „Django Unchained“.

Beste visuelle Effekte
„Der Hobbit – Eine unerwartete Reise“ – Joe Letteri, Eric Saindon, David Clayton, R. Christopher White
„Life of Pi“ – Bill Westenhofer, Guillaume Rocheron, Erik-Jan De Boer, Donald R. Elliott
„Marvel’s The Avengers“ – Janek Sirrs, Jeff White, Guy Williams, Dan Sudick
„Prometheus – Dunkle Zeichen“ – Richard Stammers, Trevor Wood, Charley Henley, Martin Hill
„Snow White and the Huntsman“ – Cedric Nicolas-Troyan, Philip Brennan, Neil Corbould, Michael Dawson
Auch hier wird mit ziemlicher Sicherheit „Life of Pi“ gewinnen, was von mir aus auch in Ordnung gehen würde.
Tipp: „Life of Pi“.

14. Februar 2013

„Cäsar muss sterben“ (2012, Paolo Taviani, Vittorio Taviani)

Eine Theatertruppe bestehend aus Sträflingen studiert William Shakespeares „Julius Cäsar“ ein. Während der Proben lassen sie ihre persönlichen Schicksale in die Rollen einfließen, müssen aber auch Konflikte untereinander bewältigen. Der Clou an diesem Film: Bei den Mafiaschlägern, Drogendealern und Mördern handelt es sich um echte Häftlinge, die ihre Strafen im Rebbibia-Gefängnis in Rom abbüßen.

„Cäsar muss sterben“, der letztjährige Gewinner des Goldenen Bären in Berlin, stellt uns vor eine ungewohnte Situation: Er kommt als Dokumentarfilm daher, ist aber eigentlich ein Spielfilm mit Laiendarstellern. Vielleicht führt er uns damit aber auch nur unsere eigene Naivität vor Augen bei der Frage, was tatsächlich das echte Leben, die reality ist. Der in Schwarzweiß gehaltene Film ist nämlich alles andere als spontan, vielmehr ist er in beeindruckenden Bildern perfekt durchchoreographiert.

Aufgrund des Settings lässt sich „Cäsar muss sterben“ weniger mit anderen Verfilmungen des Shakespeare-Stoffes als viel eher mit Theaterproduktionen der Tragödie vergleichen. Zugegeben, hier sind die Erfahrungen jedes Einzelnen ganz unterschiedlich. Aber diesen Vergleich brauchen die verurteilten Mimen keinesfalls zu scheuen. „Cäsar muss sterben“, das sind packende 76 Minuten, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

„Bernie“ (2011, Richard Linklater)

Wieder einmal einer dieser Filme, die in Österreich aus unerklärlichen Gründen keinen regulären Kinostart erleben durften und auf eine Präsentation im Österreichischen Filmmuseum angewiesen sind: „Bernie“ erzählt die Geschichte von Bernie Tiede (Jack Black), einem engagierten Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens, der sich fürsorglich und ohne Hintergedanken um die Witwen kümmert, die ihm tagtäglich begegnen. Doch sein Leben ändert sich dramatisch, als er beginnt, sich der reichen Egoistin Marjorie Nugent (Shirley MacLaine) zu widmen.

Linklater spielt ein Spiel mit dem Zuschauer. Zwischen die einzelnen Szenen des Spielfilms, der auf einer wahren Begebenheit beruht, sind Talking Heads von Bewohnern der texanischen Kleinstadt geschnitten, die der Kamera ihre Sicht der Geschehnisse erzählen. Die Illusion eines Doku-Dramas ist dabei so perfekt, dass man sich bis zuletzt fragt, ob man nicht vielleicht doch nicht nur Schauspieler zu sehen bekommen hat (SPOILER: Die Zweifel sind berechtigt, es sind auch einige echte Zeugen darunter). Gesagt werden muss, dass Jack Black eine unglaublich gute Vorstellung an den Tag legt, die ich ihm bislang nicht zugetraut hätte. Und auch Matthew McConaughey (als Provinzstaatsanwalt) ist inzwischen durchaus ernst zu nehmen!

„Bernie“ ist eine tiefschwarze Komödie mit viel Witz und Intelligenz. Das kein Platz für solche Filme am heimischen Kinomarkt ist, ist beschämend. Wenn Sie dennoch die Gelegenheit haben sollten, ihn zu sehen, sollten Sie sie ergreifen.

5. Februar 2013

„Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ (2012, Ang Lee)

Nach über einem Monat habe ich mich doch entschieden, „Life of Pi“ anzusehen. Ja, die Bilder sind teilweise atemberaubend. Und nein, das alleine rechtfertigt meiner Meinung nach noch keinen Film, zumindest keinen, der so hochtrabend daherkommt. Vielleicht habe ich ihn nicht verstanden oder ich bin zu engstirnig und verbittert, aber von den zwei Stunden, die ich im Kino saß habe ich mich ca. eineinhalb gefragt, was ich dort eigentlich mache. Und mehr Energie will ich auch gar nicht mehr darauf vergeuden. Punkt.

„Zero Dark Thirty“ (2012, Kathryn Bigelow)

Ich hatte nicht unbedingt die besten Erwartungen, als Kathryn Bigelow bereits kurz nach Osama bin Ladens Tötung im Mai 2011 verlautbaren ließ, dass sie bereits an einem Film über die Jagd auf ihn arbeite. Doch ich bin froh, dass mich diese erste Ablehnung gegenüber „Zero Dark Thirty“ nicht aus dem Kino ferngehalten hat.
 
Die junge CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) wird 2003 an die US-Botschaft in Pakistan versetzt, um als Teil einer Spezialeinheit Informationen über Terroristen und geplante Anschläge zu beschaffen. Zu den Verhören von Gefangenen gehören regelmäßig auch Foltermaßnahmen. Ihr Fokus richtet sich zunehmend auf den mysteriösen Abu Ahmed, von dem sie vermutet, eine direkte Verbindung zu Bin Laden zu haben. Doch ihre Suche stößt in den eigenen Reihen nicht nur auf Verständnis.

Chastain liefert mit ihrer fast durchgehenden Leinwand-Präsenz eine beeindruckend unterspielte Tour de Force. Unterstützt wird sie von einer ganzen Reihe markanter Schauspieler in kleinen und kleinsten Rollen: Jason Clarke, Jennifer Ehle, Kyle Chandler, Édgar Ramírez, Chris Pratt, Fares Fares, Mark Strong und James Gandolfini (wunderbar als CIA-Direktor Leon Panetta), um nur einige zu nennen. Optisch kann „Zero Dark Thirty“ seine Ähnlichkeit zu Bigelows letztem Film, dem ebenfalls von Mark Boal geschriebenen Oscar-Gewinner „The Hurt Locker“, nicht verleugnen, was aber nicht zum Schlechtesten ist. Besonders hervorzuheben ist außerdem die Musik Alexandre Desplats, die mich stark an seine Arbeit für „Syriana“ erinnerte.

Streckenweise ist „Zero Dark Thirty“ moralisch bedenklich, wenn es um den Einsatz von Folter geht. Über diesen Punkt ist bisher wohl auch am meisten diskutiert worden, und es lässt sich nur schwer sagen, wie die Aussagen des Films diesbezüglich tatsächlich zu deuten sind. Mit Gewissheit kann man aber sagen, dass „Zero Dark Thirty“ abseits des historischen Rahmens immer noch ein durchaus spannender Spionagefilm ist, den es sich anzusehen lohnt.

„Der Geschmack von Rost und Knochen“ (2012, Jacques Audiard)

Diese Rezension vermag leider nicht ohne SPOILER auszukommen: Ali (Matthias Schoenaerts) ist ein ehemaliger Amateurboxer, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Zufällig begegnet ihm Stéphanie (Marion Cotillard), Wal-Trainerin im Marineland von Antibes. Als diese durch eine Orca-Attacke beide Unterschenkel verliert, ist es Ali, der sie aus ihrer Depression herausholt. Gleichzeitig möchte aber auch er neue Chancen ergreifen.

Jacques Audiard erzählt Entwicklungsgeschichten. Schon in „Der wilde Schlag meines Herzens“  und dem großartigen „Ein Prophet“ waren seine Hauptfiguren Menschen, die die ihnen gegebenen Talente nicht zu nutzen gewusst hatten, durch eigenes Handeln in irgendeiner Form gescheitert waren, nun aber doch die Gelegenheit erhielten, auszubrechen und sich weiterzuentwickeln. Nicht anders ist es in „Der Geschmack von Rost und Knochen“, nur dass es diesmal nicht eine sondern zwei Personen sind, mit denen wir es zu tun haben.

Audiards Entwicklungsgeschichten sind aber zudem Erlösungsgeschichten. Bei allem Realismus vertritt er einen Optimismus, der mitunter einen angenehmen Kontrast zu vielen anderen Realisten darstellt. Vielleicht ist Jacques Audiard auch deshalb einer der wichtigsten Protagonisten des aktuellen französischen Kinos.

Selbstreflexion: Vom Kritikersprech

Ich weiß nicht so recht, wie ich damit umgehen soll: Da bemühe ich mich stets, im Vorfeld keine Kritiken zu Kinofilmen, die ich mir noch ansehen möchte, zu lesen, um nicht voreingenommen zu sein. Nach dem Kinobesuch setze ich mich hin und schreibe eine Rezension in diesem Blog, wofür ich so unbeeinflusst wie möglich sein möchte. Und was sehe ich, wenn ich mir dann „Sight & Sound“, „Ray“ oder die Filmkritiken im „Standard“ vornehme? Genau die gleichen Beobachtungen und Erkenntnisse – bis hin zu den gleichen Formulierungen!
 
Da fragt man sich natürlich, ob das der unausweichliche Lauf der Dinge ist. Fährt man in festgefahrenen Bahnen, sobald man die Füllfeder in die Hand nimmt? Ist der Einfluss von Sichtweise und Form bereits gelesener Rezensionen so stark, dass man sie automatisch kopiert? Ist man als Kritiker zu einem bestimmten Kritikersprech verdammt?

Und ist nicht ebendiese Selbstreflexion schon wieder Klischee?

4. Februar 2013

„Gangster Squad“ (2012, Ruben Fleischer)

Die Geschichte – nicht die Qualität! – erinnert sehr stark an Brian De Palmas „Die Unbestechlichen“; Chicago in den 1930ern ist nun Los Angeles in den 1940ern: Ein rechtschaffener Polizist (Josh Brolin) wird vom Polizeichef (Nick Nolte) mit der Zusammenstellung einer Einheit (Ryan Gosling, Anthony Mackie, Giovanni Ribisi, Michael Peña, Robert Patrick) beauftragt, die jenseits der Legalität agieren soll, um den allmächtigen Gangsterboss Mickey Cohen (Sean Penn) zur Strecke zu bringen. Inzwischen bandelt einer von ihnen mit Cohens Liebschaft (Emma Stone) an.

„Gangster Squad“ hat prinzipiell ein paar ganz nette Ideen, vor allem, wenn es um Reverenz gegenüber dem Film noir geht – angefangen beim Voice-over-Anfang bis hin zu einer „Sunset Boulevard“-Schwimmbecken-Einstellung – und man kann durchaus auch hin und wieder schmunzeln, doch es lässt sich nicht daran rütteln: er ist einfach schlecht erzählt. Es wirkt so, als ob der Film ursprünglich eine halbe Stunde länger hätte sein sollen. Ein wenig bedauert man die Vergeudung einer Reihe guter Schauspieler.

Ganz verreißen möchte ich „Gangster Squad“ nicht, aber wirklich zufrieden kann ich nicht sein.