24. November 2012

„Cold Blood – Kein Ausweg. Keine Gnade.“ (2012, Stefan Ruzowitzky)

Im Vorfeld hat man immer wieder den Vergleich mit „Fargo“ (1996) gehört, doch zwischen dem Film der Coen-Brüder und Stefan Ruzowitzkys Hollywood-Debüt „Cold Blood“ – der im Original sinnigerweise nicht so sondern „Deadfall“ heißt – liegen Welten, sieht man einmal von der schneeweißen Landschaft ab. Ich persönlich fühlte mich ein wenig an Terrence Malicks Klassiker „Badlands“ (1973) bzw. Oliver Stones Hommage „Natural Born Killers“ (1994) erinnert, doch auch hier sind die Niveauunterschiede unübersehbar.

Die Geschwister Addison (Eric Bana) und Liza (Olivia Wilde) überleben nach einem geglückten Raubüberfall einen schweren Autounfall in der winterlichen Landschaft des Nordens der USA nahe der kanadischen Grenze. Er schlägt sich alleine durch den Wald durch, sie wird vom eben aus dem Gefängnis entlassenen Ex-Boxer Jay (Charlie Hunnam) aufgegabelt, der unterwegs zu seinen Eltern Chet (Kris Kristofferson) und June (Sissy Spacek, die mit „Badlands“ ihren Durchbruch hatte) ist. Den Verbrechern auf der Spur sind Sheriff Becker (Treat Williams) und die Polizistin Hannah (Kate Mara), seine Tochter.

„Cold Blood“ ist ein Film, dem man seine guten Absichten ansieht und der auch Potential hätte. Allein, er ist nicht gut umgesetzt. Die Handlungsstränge strotzen vor Klischees und die Dialoge sind teilweise grottenschlecht. Dass die deutsche Synchronfassung (ja, ich weiß …) obendrein furchtbar umgesetzt ist, wofür man allerdings dem Regisseur ausnahmsweise keinen Vorwurf machen kann, tut das Restliche (Eric Bana, der einen sehr zwielichtigen Charakter spielt, spricht mit der Malibu-Strandhaus-Stimme Charlie Sheens).

Da der Film gegen Ende dann überraschenderweise doch noch ein wenig spannend wird, ist er in meinen Augen nicht ganz schlecht – aber „Cold Blood“ ist nichts, was man unbedingt gesehen haben muss.

18. November 2012

„Un amour de jeunesse“ (2011, Mia Hansen-Løve)

Irgendwann in der zweiten Hälfte des Films kommt die Protagonistin mit ihrer Jugendliebe aus einem Kino. Er bezeichnet den gesehenen Film als typisch französisch: es wird nur geredet und es gibt viel zu viele stille Sequenzen, in denen gar nichts passiert. Sie attestiert ihm, den Film nicht verstanden zu haben. Beide Einschätzungen werden als legitim dargestellt. Der oder die eine kann etwas mit dem Film anfangen, jemand anderer wiederum nicht. Vielleicht ist mein Urteil ja getrübt, weil ich die junge französische Regisseurin Mia Hansen-Løve bereits in zwei Publikumsgesprächen als höchst sympathische Person erleben durfte und auch schon einen freundlichen Briefwechsel mit ihr hatte: Ich begebe mich aber mit Überzeugung in das Lager derer, die ihren dritten Spielfilm „Un amour de jeunesse“ als sehenswert einstufen!

In der ersten Hälfte des Films sehen wir die Höhen und Tiefen der Liebesbeziehung zwischen der fünfzehnjährigen Schülerin Camille (sehr mutig: Lola Créton) und dem etwas älteren Studenten Sullivan (Sebastian Urzendowsky). In der zweiten Hälfte erleben wir das langsame Heranreifen Camilles als Architekturstudentin, unterstützt durch ihren norwegischen Lehrer Lorenz (Magne Håvard Brekke), und ihre Emanzipation als junge Architektin.

Hansen-Løve hat selbst keinen Zweifel daran gelassen, dass „Un amour de jeunesse“ wie schon ihre beiden ersten Filme, aber diesmal noch viel intensiver, voll von autobiographischen Elementen ist – eigentlich müsste man lediglich Architektur durch Film ersetzen. Auch die Beziehung zu einem deutlich älteren Mann – Hansen-Løve ist mit Regisseur Olivier Assayas liiert – ist ihrem eigenen Leben entnommen. Ein Problem, dass ich mit dem Film habe, ist das in Literatur und Film omnipräsente Thema der verbotenen Liebe. Warum ist eine Affäre, die auf Betrug aufbaut und dazu geschaffen ist, eine andere Liebesbeziehung zu zerstören, in unserer Gesellschaft angeblich etwas so Romantisches? Dieses Element hätte mir den Film fast verdorben. Die Regisseurin hat ihre drei bisherigen Filme als eine Art Trilogie bezeichnet, in der es vordergründig um das Erwachsenwerden geht, das eigentliche Hauptthema allerdings das Erlangen von Freiheit ist. Eben diese Befreiung der Protagonistin war es, die mich letztendlich jedoch wieder versöhnlich gestimmt hat.

„Un amour de jeunesse“ hat in Österreich im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern leider keinen regulären Kinostart erleben dürfen. Ich selbst durfte den Film bei der ersten seiner einzigen beiden Vorstellungen im Filmmuseum erleben. Wer jedoch die Chance haben sollte, sich den Film auf anderem Wege anzusehen, sollte dies auch tun!

11. November 2012

„Skyfall“ (2012, Sam Mendes)

Derzeit kann man sich James Bond ja nicht entziehen, und da ich ohnedies ein Fan der Reihe bin (Wer eigentlich nicht?), zog es mich letzte Woche zu „Skyfall“ ins Kino. Ungefähr nach der Hälfte des Films dachte ich mir „Okay, das ist wohl der schwächste der drei Craig-Bondfilme“ – und das will nach „Ein Quantum Trost“ etwas heißen! Gottseidank wurde ich in der zweiten Hälfte eines besseren belehrt. Die häufig zu lesende Etikettierung als bester Bond seit langem kann ich allerdings nicht nachvollziehen.

James Bond (Daniel Craig), Olympia-erprobter Agent Ihrer Majestät, wird im Teaser von friendly fire getroffen und daraufhin von M (Judi Dench) als gefallen vermutet. Überraschenderweise – oder doch nicht? – ist er jedoch gar nicht tot und meldet sich auch wieder zum Dienst, als der MI6 vom ehemaligen Agenten Raoul Silva (ein nicht wirklich überzeugender Javier Bardem) angegriffen wird.

Wie bei Bondfilmen üblich, macht die prinzipiell nicht allzu komplizierte Handlung einige Schwenks, deren Sinnhaftigkeit sich nicht immer unmittelbar erschließen (Muss James Bond wirklich um jeden Preis in einem gläsernen Wolkenkratzer oder einem asiatischen Kasino verkehren?). Vor allem aber steht „Skyfall“ unter dem Eindruck des fünfzigjährigen Jubiläums; das sich in verschiedenen Facetten wiederfindende Hauptthema ist der Umgang mit Alter und Tradition. Aus Freude über die vielfältigen Anspielungen auf frühere Filme der Reihe verzeiht man ihm auch, dass es gerade erst zwei Filme her ist, dass Bonds Genese gezeigt wurde, während dieser jetzt als abgehalftertes Auslaufmodel präsentiert wird. Dieses Hauptthema, gepaart mit einigen gut gemachten Actionsequenzen (unter anderem mit dem wunderbaren Albert Finney), ist es auch, was den Film letztendlich rettet – ja, ihn sogar noch sehenswert macht. Dies ist wohl nicht zuletzt Regisseur Sam Mendes zu verdanken, der – vielleicht mehr als jene anderer Filme der Reihe – für ein gewisses Maß an Qualität steht.

Ben Whishaw als neuer Q und vor allem Ralph Fiennes als Geheimdienstkoordinator Gareth Mallory (dessen Rolle sich mir anfangs noch nicht erschloss, dann aber vielleicht früher als vorgesehen klar war) machen jedenfalls auch Lust auf noch kommende Bonds. Daniel Craig hat zumindest schon für zwei weitere Einsätze unterschrieben.

4. November 2012

„Der Pate“ (1972, Francis Ford Coppola), „Der Pate – Teil II“ (1974, Francis Ford Coppola), „Der Pate – Teil III“ (1990, Francis Ford Coppola)

Es gibt wenige Filme, die ich so häufig gesehen habe, wie Francis Ford Coppolas drei Filme der „Pate“-Trilogie. Die ersten beiden Teile zählen zu meinen persönlichen Top 3 (neben Michael Manns „Heat“ (1995)). In meiner Jugend waren sie es wohl, die mein Interesse für den Film als Kunstform geweckt haben. Gleichzeitig habe ich sie in den unterschiedlichsten Situationen gesehen: auf Deutsch, im englischen Original, am Silvesterabend mit Kommentar des Regisseurs; den ersten Teil habe ich sogar am Vorabend meiner Hochzeit geschaut. Nach einem Sommer voller Bestenlisten und den daraus resultierenden Fragwürdigkeiten war ich nun gespannt, ob sich meine Wert- bzw. Einschätzung der beiden früheren Filme möglicherweise zum Schlechteren geändert haben könnte. Oder ob ich gar plötzlich mit Teil III mehr anfangen können würde! Immerhin haben sich meine Sehgewohnheiten in den letzten Jahren deutlich geändert. Konnte ich früher nur sagen „ein Film gefällt mir gut“ oder „ein Film gefällt mir schlecht“, habe ich es in den letzten Jahren mit meinen bescheidenen Mitteln doch zumindest versucht, analytisch an Filme heranzugehen. So kam es vor zwei Wochen zu einem Showdown zwischen mir und den drei „Pate“-Filmen. Und was soll ich sagen? „Der Pate“ und „Der Pate – Teil II“ haben wie zu erwarten war obsiegt. Teil III hingegen ist wenig überraschend stehend K.O. gegangen.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es noch Menschen gibt, die diese Filme noch nicht gesehen haben, ein kurzer Überblick darüber, worum es geht: Im ersten Teil lernen wir im Jahr 1945 den italo-amerikanischen Mafioso Vito Corleone (Marlon Brando) kennen, von Freunden wie Untergebenen ehrfurchtsvoll Pate genannt. Er ist das Oberhaupt einer der einflussreichen New Yorker Mafiafamilien, die uns in einer der großartigsten Anfangssequenzen der Filmgeschichte Person für Person vorgestellt wird. Da gibt es die gütige Mama Carmela (Morgana King); den jähzornigen und sexuell umtriebigen ältesten Sohn Sonny (James Caan); den gutherzigen aber etwas einfachen mittleren Sohn Fredo (John Cazale); den eben aus dem Krieg heimgekehrten jüngsten Sohn Michael (Al Pacino), der sich von den Machenschaften seiner Familie distanzieren möchte; seine blauäugige Freundin Kay Adams (Diane Keaton); die frischvermählte Tochter Connie (Talia Shire) und ihren Ehemann Carlo Rizzi (Gianni Russo); den Adoptivsohn Tom Hagen (Robert Duvall), Anwalt und Consigliere der Familie; die beiden Capos, den lebenslustigen Peter Clemenza (Richard S. Castellano) und den ruhigeren Sal Tessio (Abe Vigoda). Während sich die Handlung des Films entwickelt, erleben wir die Schicksalsschläge und die Umstände, die den eigentlich für eine Karriere außerhalb der Mafia vorgesehenen Michael zusehends in die Rolle des Nachfolgers drängen.

In Teil II hat Michael im Jahr 1958 im Bemühen um Legalität das Zentrum der Familie Corleone nach Nevada verlegt. Neue Handelnde sind die Capos Al Neri (Richard Bright), Rocco Lampone (Tom Rosqui) und Frank Pentangeli (Michael V. Gazzo) sowie der jüdische Gangster Hyman Roth (Lee Strasberg). Parallel zu Unternehmungen in Kuba am Vorabend der Revolution sind Rückblenden auf den Werdegang des jungen Vito (Robert De Niro) – teilweise genial – montiert.

Teil III zeigt einen gealterten Michael im Jahr 1979, der bemüht ist, seine Familie durch Geschäfte mit dem Vatikan reinzuwaschen. Neu treten seine erwachsenen Kinder Anthony (Franc D’Ambrosio) und Mary (Sofia Coppola), sein Anwalt B. J. Harrison (George Hamilton), sein alter Freund Don Altobello (Eli Wallach) und sein ungestümer Neffe Vincent Mancini (Andy Garcia) hinzu.


„Der Pate“ war nie als Trilogie angelegt, sondern eigentlich nur als Einzelfilm, wenngleich Teil II – von Paramount Pictures aufgrund des großen finanziellen und kritischen Erfolgs des ersten Teils initiiert – auch auf Elemente des Originalromans von Mario Puzo zurückgreift. Die Verzahnung dieser beiden Filme ist aber so gut gelungen, dass man mit Fug und Recht von einem Ganzen sprechen kann. Hingegen ist der ungeliebte dritte Teil, den Coppola 16 Jahre nach Teil II aus Geldnot zu drehen gezwungen war und dem er eigentlich einen anderen Titel geben wollte, ein Fremdkörper; eines seiner Probleme ist, dass er einen Abschluss der Saga sucht, der bereits mit Teil II vorgenommen wurde. Ich wollte ihm noch eine Chance geben, doch ich muss leider feststellen, dass der Film in meiner Gunst noch weiter gesunken ist. Ich möchte daher im noch Folgenden nicht mehr weiter auf ihn eingehen und meine Ausführungen auf die beiden früheren Teile beschränken.

Was mich – ganz subjektiv – am ersten Teil fasziniert ist seine Makellosigkeit. Obwohl mit fast drei Stunden durchaus kein kurzer Film, gibt es in ihm doch praktisch keine überflüssige Szene, keine unnötigen Längen. Jede Einstellung hat ihren Sinn, ebenso jeder gesprochene Satz, und mag er noch so trivial erscheinen. Mehr noch, aus fast jeder Szene gibt es ein Zitat, das in irgendeiner Weise Kultfaktor erlangt hat. Dabei geht es nicht nur darum, die Handlung voranzutreiben, sondern ein ausuferndes Sittenbild zu zeichnen. In diesem Universum hat jede noch so kleine Nebenfigur ihre Geschichte. Teil II ist zwar unbestreitbar ebenfalls ein Meisterwerk, es fehlt ihm aber meiner Meinung nach die Dichte des ersten Teils. Ein Disput unter Liebhabern ist ja die Frage, ob nun der erste oder der zweite Teil der bessere ist. Befürworter von Teil II verweisen meist auf dessen Struktur mit zwei unterschiedlichen Zeitebenen. Ich persönlich entscheide mich aber für den ersten Teil. 

Die Rolle Michaels bzw. seine Einschätzung hat in meinem Freundeskreis schon für heftige Diskussionen gesorgt. Unbestreitbar ist, dass er in eine Rolle gedrängt wird, die er nicht angestrebt hat. Aber es stellt sich doch die Frage, in wessen Interesse er handelt, sobald er an der Macht ist – in dem seiner Familie oder doch in seinem eigenen? Auffälligerweise sind, zumindest in meinem Umfeld, Frauen meist gnädiger mit Michael als Männer. Ich persönlich sehe in ihm einen reinen Egoisten, was in aber keineswegs uninteressanter erscheinen lässt. Die Frage deutet unabhängig davon aber bereits in Richtung des (abgesehen vom Essen) eigentlichen Themas der Filme: die Familie.

Trotz meiner geschilderten Präferenz für den ersten Teil findet sich meine absolute Lieblingsszene – und an großartigen Szenen herrscht wahrlich kein Mangel – in Teil II. Es ist die vorletzte Szene des Films, eine Rückblende in das Jahr 1941, also vor die Handlung des ersten Teils. In ihr wird uns die unglaubliche Tragik des noch bevorstehenden Schicksals der Corleones nochmals bewusst: Da sitzen sie alle um den Esszimmertisch, die Geschwister, und warten auf die Ankunft ihres Vaters. Michael erklärt zum Verdutzen der anderen, dass er sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat, und es ist ausgerechnet Fredo, der ihn in seiner Entscheidung unterstützt. Und im Spannungsverhältnis von Familie und Individuen wird uns plötzlich klar, dass ihre Leben unzertrennbar miteinander verbunden sind, komme was wolle. „Kann ein Mann sich von seiner Familie trennen?“, fragt Michael irgendwann zuvor im Film seine Mutter. Ob er es will oder nicht, er kann es nicht.