Heute jährt sich zum 40. Mal das Attentat von München. Da ich vor
einigen Jahren die Möglichkeit hatte, mich im Rahmen einer
Forschungspraktikumsarbeit mit der filmischen Rezeption dieses Ereignisses
auseinanderzusetzen, gibt es an dieser Stelle ausnahmsweise einen etwas
ausführlicheren Blogbeitrag.
Während der Olympischen Sommerspiele drangen am 5. September
1972 palästinensische Terroristen in das olympische Dorf ein und nahmen einen Teil
der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln. Die Gruppierung, die sich Schwarzer September nannte, forderte die
Freilassung von 234 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen,
sowie jene der RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof aus deutscher
Haft. Der Krisenstab, der unter der Leitung des bayerischen Innenministers
Bruno Merk gebildet wurde und dem auch der deutsche Bundesinnenminister
Hans-Dietrich Genscher, der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber und der
Bürgermeister des olympischen Dorfs Walther Tröger angehörten, wollte weniger
auf Gewalt als auf Verhandlungsgeschick setzen; die israelische Regierung unter
Ministerpräsidentin Golda Meir ließ aber verlautbaren, dass mit Terroristen
nicht verhandelt werden würde. Ohne eine Verhandlungsbasis verfolgten die
deutschen Behörden eine Hinhaltetaktik. Ein Befreiungsversuch durch ungeübte
Polizisten, die als Athleten verkleidet agierten, scheiterte noch bevor er begonnen
hatte, da die Aktion von den Terroristen im Fernsehen mitverfolgt werden
konnte. Kurz vor Ablauf des zweimal verlängerten Ultimatums forderten die
Geiselnehmer ein Flugzeug, das sie mit den Geiseln in ein arabisches Land
bringen sollte. Diese Vorgehensweise sollte eine allzu lange Dauer der
Geiselnahme verhindern. Der Krisenstab willigte ein und stellte für den
Transport vom olympischen Dorf zum Flugplatz Fürstenfeldbruck zwei Hubschrauber
zur Verfügung. Dort sollten die Geiseln mit Gewalt befreit werden. Doch das
Vorhaben misslang. Im Zuge einer planlosen Schießerei sprengten die Terroristen
einen der Hubschrauber mit der Hälfte der Geiseln in die Luft und erschossen
die übrigen Geiseln. Insgesamt starben an diesem Tag elf israelische Sportler
und Trainer. Es überlebten lediglich drei der palästinensischen Geiselnehmer,
die allerdings nicht lange in deutscher Haft waren. Im Zuge der Entführung
einer Lufthansa-Maschine am 29. Oktober 1972 wurden sie äußerst unkompliziert
freigelassen, was den Verdacht einer Absprache zwischen der deutschen Regierung
und den Terroristen aufkommen ließ. Auf Anweisung Golda Meirs wurde der
israelische Geheimdienst Mossad beauftragt, sowohl die überlebenden
Geiselnehmer als auch die palästinensischen Hintermänner zu beseitigen. Der
Name dieser Operation war Zorn Gottes.
Mehrmals wurde der Anschlag von München filmisch
verarbeitet: Bereits 1976 erschien der TV-Film „Die 21 Stunden von München“ des
Regisseurs William A. Graham. Der Film basiert auf dem 1973 erschienen Roman
„La Médaille de sang“ des französischen Schriftstellers Serge Groussard. Der
Film wurde an den Originalschauplätzen gedreht und zeigt die Zeit vom Vorabend
des Anschlages, als sich die israelischen Athleten auf ihr Quartier begeben,
bis hin zum blutigen Kampf auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Er endet mit der
offiziellen Trauerfeier im Münchner Olympiastadion und gibt mittels Kommentar
noch einen Hinweis auf die Freilassung der drei überlebenden Terroristen. Die
Handlung des Films orientiert sich sehr stark an den tatsächlichen Abläufen,
bringt schon damals bekannte persönliche Schicksale von Tätern und Opfern mit
hinein und ist lediglich durch den vollkommenen Verzicht auf die Rolle Walther
Trögers, des Bürgermeisters des olympischen Dorfes, etwas ungenau. Im
Mittelpunkt der Handlung stehen auf der einen Seite der Münchner
Polizeipräsident Manfred Schreiber (William Holden) und auf der anderen Seite
der Anführer der Terroristengruppe Issa (Franco Nero). Beide werden als
vernünftige und zielgerichtet arbeitende Personen dargestellt, die aus ihrer
Sicht immer das richtige entscheiden. Der Ablauf der Geschehnisse wird als unumstößlich
gezeigt, der durch nichts hätte anders verlaufen können. Es wird dadurch kein
Vorwurf an die deutschen Behörden für ein etwaiges Versagen gemacht. Eine besondere
Bedeutung wird – wohl aus dramaturgischen Gründen – der einzigen Frau im Umfeld
der Geiselnahme, der vor Ort verhandelnden Sicherheitsbeamtin Anneliese Graes (Shirley
Knight), und dem Spannungsverhältnis zwischen ihr und Issa beigemessen. „Die 21
Stunden von München“ ist nicht politisch. Der Film verurteilt die Taten der
Terroristen als „ruchloses Verbrechen“, versucht aber trotzdem auch deren
Sichtweise zu zeigen. Die Entscheidung Israels, nicht mit Terroristen zu
verhandeln, wird als solche respektiert und weder als positiv noch als negativ
kommentiert. Auf die politischen Zusammenhänge des israelisch-palästinensischen
Konflikts wird gar nicht eingegangen.
Eine intensivste Bearbeitung erfuhr das Attentat auch in Kevin
Macdonalds Dokumentarfilm „Ein Tag im September“ aus dem Jahr 1999. Dieser
entstand in Zusammenarbeit mit dem britischen Autor Simon Reeve, der ein Jahr
später ein Sachbuch gleichen Namens in Romanform herausbrachte. Der Film
verknüpft die minutengenaue Chronologie der Ereignisse mit der persönlichen
Wahrnehmung von Angehörigen der Opfer. Exemplarisch hervorgehoben wird das
Schicksal von Ankie Spitzer, der Frau des Fechttrainers Andre Spitzer. Die
Dokumentation macht stark Gebrauch von Talking head-Interviews mit jenen
Personen, die damals den Krisenstab bildeten. Es wird aber auch ein Interview
mit dem letzten überlebenden Terroristen Jamal Al-Gashey geführt. Die Dokumentation
spart die politischen Hintergründe des israelisch-palästinensischen Konflikts
im Allgemeinen und des Anschlags im Speziellen größtenteils aus. Gleichzeitig
versucht der Film, eine gewisse Objektivität zu wahren, indem er weder für die
palästinensische noch die israelische Seite Stellung bezieht. Die zwei
Hauptangriffsziele der Dokumentation sind die deutschen Behörden und das
Internationale Olympische Komitee. Die Frage nach der Vorgehensweise der
deutschen Behörden wurde in der Öffentlichkeit von Anfang an kontroversiell
diskutiert. Die Dokumentation sieht ein totales Chaos und Versagen der Polizei
und der Bundesrepublik Deutschland in der Krisensituation der Geiselnahme. Das
Aufzeigen dieses Versagens setzt bereits bei der Betrachtung der laxen
Sicherheitsvorkehrungen am Olympia-Gelände an. Den Krisenstab betreffend werden
das Fehlen einer Anti-Terroreinheit in Deutschland und die übermäßig vielen
Entscheidungsträger, die eine einheitliche Vorgehensweise erschwert hätten,
kritisiert. Auch wird das Ausbleiben einer Zusammenarbeit zwischen Polizei und
Militär bemängelt. Weiters wird Deutschlands Umgang mit dem Ausgang der
Geiselnahme, die Abschüttelung jeglicher Verantwortung und die Freilassung der
Geiselnehmer stark kritisiert. Dem Internationalen Olympischen Komitee wird
vorgeworfen, die Geiselnahme nur als lästige Unterbrechung der Spiele angesehen
zu haben. Die Einschätzungen der Dokumentation sind meiner Meinung nach sehr
subjektiv von amerikanischen und israelischen Vorgehensweisen geprägt. Persönlich
erscheint mir die wiederholte und starke Kritik an einem Land, dass nicht
sofort das Militär für innenpolitische Probleme hinzuziehen wollte und nicht
bereit war, mit Waffengewalt „um jeden Preis“ zuzuschlagen, sehr einseitig.
Auch ist die von der Dokumentation vorgenommene Einstufung der kritischen
Kommentare Zvi Zamirs, des damaligen Mossad-Leiters, als berechtigte Kritik an
Deutschland angesichts der Rolle Zamirs im Zusammenhang mit etlichen
Mordanschlägen höchst fragwürdig. Ein Punkt, den der Film ebenfalls stark
betont, ist die symbolische Bedeutung Deutschlands im Zusammenhang mit der
Tötung von Juden. Immer wieder wird darauf eingegangen, dass die israelischen
Athleten sich in Deutschland einerseits unwohl gefühlt hätten, andererseits
aber ihre Präsenz bei den Spielen bewusst betonen wollten. Dass Israelis dann auf
einem deutschen Flugfeld starben – womöglich sogar durch deutsches Polizeifeuer
–, habe eine immense negative Symbolwirkung gehabt.
Einen anderen Stellenwert hat das Attentat im TV-Mehrteiler „Gideons
Schwert“ (1986) sowie in dessen Spielfilmremake „München“ (2005). Der Anschlag dient
hier nur als Ausgangspunkt für die Operation Zorn Gottes. Beide Filme beruhen auf dem 1984 erschienenen Roman „Vengeance“
des ungarisch-kanadischen Autors George Jonas. Dieser erzählt die Geschichte
des Mossad-Agenten Avner, der auf direkten Befehl von Ministerpräsidentin Golda
Meir eine Gruppe von Agenten anführt, die als Rache für den Anschlag von
München selbständig die Drahtzieher der Geiselnahme ausforschen und umbringen sollen.
So töten sie verschiedene (vermeintliche) Hintermänner, die in Europa verstreut
agieren. Das Hauptziel ihres Auftrags, Ali Hassan Salameh, der Planer der
Münchner Geiselnahme, wird allerdings mehrmals verfehlt. Am Ende des Buches ist
Avner nicht mehr von dem überzeugt, was er tut, und kehrt dem Mossad den
Rücken.
Immer wieder wurde die von „Vengeance“ erzählte Geschichte
als Fiktion abgetan. Der ehemalige Mossad-Chef Zwi Zamir betonte 2006 in einem
Interview mit Haaretz, dass sich die Mossad-Einheit nicht wie im Buch
beschrieben aus „Halbsöldnern“ zusammengesetzt und dass der angebliche Anführer
Avner nie existiert habe. Auch habe es sich bei der gezielten Tötung von
Mitgliedern und Organisatoren der Gruppe Schwarzer
September durch den Mossad nicht um einen Racheakt für München sondern um
vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Anschläge gehandelt. Jonas
selbst behauptet dagegen wiederholt, dass die Geschichte wahr und ihm von der
„Avner“ genannten Person erzählt worden sei.
Wie bereits das Buch „Vengeance“ ist auch die erste
Verfilmung aus dem Jahr 1986 problematisch. Den vierteiligen Fernsehthriller „Gideons
Schwert“ mit Steven Bauer und Michael York drehte der Regisseur Michael Anderson
für den amerikanischen Fernsehsender HBO. Die Darstellung der historischen
Ereignisse erfolgt sehr oberflächlich bzw. teilweise auch falsch. Die politischen
Hintergründe dienen nur als unbedeutende Rahmenhandlung für die Agentenaction. Die
Tatsache, dass es um einen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis geht,
wird zu wenig herausgearbeitet; die Handlung wird aus ihrem weltpolitischen Zusammenhang
gerissen. Bezeichnend dafür ist, dass der Film vorgibt, in den Jahren 1972/1973
zu spielen, die Kostüme und die Ausstattung aber teilweise die Entstehungszeit der
Miniserie, die 1980er, reflektieren.
Die zweite Verfilmung „München“ entstand 2005 unter der
Regie von Steven Spielberg mit Eric Bana, Daniel Craig, Geoffrey Rush, Mathieu
Kassovitz, Ciarán Hinds, Mathieu Amalric und Michael Lonsdale. Der Film ist
lose an die Romanvorlage angelehnt, beschreitet aber größtenteils neue Wege, da
„München“ außer „Vengeance“ auch neuere Literatur zur Verfügung stand, die sich
seriöser mit der Thematik auseinandergesetzt hatte. Hier wird die Geiselnahme
von München zu Beginn des Films, teilweise anhand von Originalaufnahmen, kurz
dargestellt. Rückblenden auf den Anschlag stellen immer wieder Bezüge zur
aktuellen Handlung her. So werden beispielsweise parallel die Namen und Photos
der elf ermordeten Israelis und jene von elf zu ermordenden Palästinensern
genannt bzw. gezeigt. Während der Film anfangs sehr stark die israelische
Position vertritt, wandelt sich diese Einstellung bis zum Ende in eine Frage
nach Recht und Unrecht. In mehreren Dialogen werden die unterschiedlichen
Auffassungen dieser Frage und des politischen Verständnisses dafür erläutert,
während der Zuseher sich aussuchen kann, welche Position ihm am ehesten liegt.
Spielbergs Film wurde in der Öffentlichkeit von verschiedenen Seiten
angegriffen, da manche den Film zu Israel-unkritisch, andere zu Israel-kritisch
sahen.
Was ist nun der Wahrheitsgehalt dieser Filme? Tatsächlich
fanden Tötungsaktionen Israels statt, wenn auch nicht unbedingt in der von
Jonas und den auf seinem Roman basierenden Filmen geschilderten Weise. Unter
anderem lassen sich folgende Fakten festhalten: 1972 wurde die
Mossad-Sondereinheit Caesarea damit
beauftragt, verschiedene namentlich festgelegte palästinensische Funktionäre
umzubringen. In der Öffentlichkeit wurde dieses Unternehmen Zorn Gottes genannt. Dies war aber keine
offizielle Bezeichnung des Mossad. Die erste von Caesarea durchgeführte Liquidierung war jene von Wael Zwaiter in
Rom. Die Bedeutung Zwaiters ist mehr als umstritten. Der Übersetzer von „1001
Nacht“ ins Italienische soll den Terrorismus selbst verurteilt haben, der Grund
für sein Aufscheinen auf der Todesliste ist nicht ganz klar. Ähnliche Zweifel
an der persönlichen Verwicklung mit Schwarzer
September gibt es beim zweiten Opfer, Mahmoud Hamshari, dem Vertreter der
PLO in Paris. Unter dem Namen Quelle der
Jugend ist jene Operation 1973 bekannt geworden, bei der Caesarea gemeinsam mit einer
Spezialeinheit des israelischen Militärs drei hochrangige PLO-Funktionäre, Abu
Youssef, Kamal Adwan und Kamal Nasser, in Beirut tötete. An diesem Unternehmen
war auch Ehud Barak, der spätere israelische Ministerpräsident und heutige
Verteidigungsminister, als Soldat beteiligt. Die sogenannte Lillehammer-Affäre wurde zu einem großen
Misserfolg des Mossad. Israelische Agenten verwechselten einen marokkanischen
Kellner mit Ali Hassan Salameh und töteten somit einen Unschuldigen. In der
Folge wurden sechs Agenten in Norwegen angeklagt und teilweise zu Haftstrafen
verurteilt. Salameh wurde schließlich 1979 mit einer Autobombe in Beirut
getötet. Hingegen überlebte Abu Daoud, der Kommandant von Schwarzer September, ein Schussattentat, das 1981 in Warschau auf
ihn verübt wurde. In den 1980er-Jahren sind die Einsätze von Caesarea nicht mehr so leicht nachvollziehbar,
doch dürfte die Einheit bis Anfang der 1990er-Jahre gewirkt haben.
Der internationale Terrorismus in seinen verschiedenen
Facetten ist für uns leider zu einer traurigen Selbstverständlichkeit geworden.
Vor 40 Jahren war dies noch nicht so. In München hat er seinen Ausgang
genommen.
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