5. September 2012

Das Attentat von München im Film

Heute jährt sich zum 40. Mal das Attentat von München. Da ich vor einigen Jahren die Möglichkeit hatte, mich im Rahmen einer Forschungspraktikumsarbeit mit der filmischen Rezeption dieses Ereignisses auseinanderzusetzen, gibt es an dieser Stelle ausnahmsweise einen etwas ausführlicheren Blogbeitrag.

Während der Olympischen Sommerspiele drangen am 5. September 1972 palästinensische Terroristen in das olympische Dorf ein und nahmen einen Teil der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln. Die Gruppierung, die sich Schwarzer September nannte, forderte die Freilassung von 234 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen, sowie jene der RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof aus deutscher Haft. Der Krisenstab, der unter der Leitung des bayerischen Innenministers Bruno Merk gebildet wurde und dem auch der deutsche Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber und der Bürgermeister des olympischen Dorfs Walther Tröger angehörten, wollte weniger auf Gewalt als auf Verhandlungsgeschick setzen; die israelische Regierung unter Ministerpräsidentin Golda Meir ließ aber verlautbaren, dass mit Terroristen nicht verhandelt werden würde. Ohne eine Verhandlungsbasis verfolgten die deutschen Behörden eine Hinhaltetaktik. Ein Befreiungsversuch durch ungeübte Polizisten, die als Athleten verkleidet agierten, scheiterte noch bevor er begonnen hatte, da die Aktion von den Terroristen im Fernsehen mitverfolgt werden konnte. Kurz vor Ablauf des zweimal verlängerten Ultimatums forderten die Geiselnehmer ein Flugzeug, das sie mit den Geiseln in ein arabisches Land bringen sollte. Diese Vorgehensweise sollte eine allzu lange Dauer der Geiselnahme verhindern. Der Krisenstab willigte ein und stellte für den Transport vom olympischen Dorf zum Flugplatz Fürstenfeldbruck zwei Hubschrauber zur Verfügung. Dort sollten die Geiseln mit Gewalt befreit werden. Doch das Vorhaben misslang. Im Zuge einer planlosen Schießerei sprengten die Terroristen einen der Hubschrauber mit der Hälfte der Geiseln in die Luft und erschossen die übrigen Geiseln. Insgesamt starben an diesem Tag elf israelische Sportler und Trainer. Es überlebten lediglich drei der palästinensischen Geiselnehmer, die allerdings nicht lange in deutscher Haft waren. Im Zuge der Entführung einer Lufthansa-Maschine am 29. Oktober 1972 wurden sie äußerst unkompliziert freigelassen, was den Verdacht einer Absprache zwischen der deutschen Regierung und den Terroristen aufkommen ließ. Auf Anweisung Golda Meirs wurde der israelische Geheimdienst Mossad beauftragt, sowohl die überlebenden Geiselnehmer als auch die palästinensischen Hintermänner zu beseitigen. Der Name dieser Operation war Zorn Gottes.


Mehrmals wurde der Anschlag von München filmisch verarbeitet: Bereits 1976 erschien der TV-Film „Die 21 Stunden von München“ des Regisseurs William A. Graham. Der Film basiert auf dem 1973 erschienen Roman „La Médaille de sang“ des französischen Schriftstellers Serge Groussard. Der Film wurde an den Originalschauplätzen gedreht und zeigt die Zeit vom Vorabend des Anschlages, als sich die israelischen Athleten auf ihr Quartier begeben, bis hin zum blutigen Kampf auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Er endet mit der offiziellen Trauerfeier im Münchner Olympiastadion und gibt mittels Kommentar noch einen Hinweis auf die Freilassung der drei überlebenden Terroristen. Die Handlung des Films orientiert sich sehr stark an den tatsächlichen Abläufen, bringt schon damals bekannte persönliche Schicksale von Tätern und Opfern mit hinein und ist lediglich durch den vollkommenen Verzicht auf die Rolle Walther Trögers, des Bürgermeisters des olympischen Dorfes, etwas ungenau. Im Mittelpunkt der Handlung stehen auf der einen Seite der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber (William Holden) und auf der anderen Seite der Anführer der Terroristengruppe Issa (Franco Nero). Beide werden als vernünftige und zielgerichtet arbeitende Personen dargestellt, die aus ihrer Sicht immer das richtige entscheiden. Der Ablauf der Geschehnisse wird als unumstößlich gezeigt, der durch nichts hätte anders verlaufen können. Es wird dadurch kein Vorwurf an die deutschen Behörden für ein etwaiges Versagen gemacht. Eine besondere Bedeutung wird – wohl aus dramaturgischen Gründen – der einzigen Frau im Umfeld der Geiselnahme, der vor Ort verhandelnden Sicherheitsbeamtin Anneliese Graes (Shirley Knight), und dem Spannungsverhältnis zwischen ihr und Issa beigemessen. „Die 21 Stunden von München“ ist nicht politisch. Der Film verurteilt die Taten der Terroristen als „ruchloses Verbrechen“, versucht aber trotzdem auch deren Sichtweise zu zeigen. Die Entscheidung Israels, nicht mit Terroristen zu verhandeln, wird als solche respektiert und weder als positiv noch als negativ kommentiert. Auf die politischen Zusammenhänge des israelisch-palästinensischen Konflikts wird gar nicht eingegangen.

Eine intensivste Bearbeitung erfuhr das Attentat auch in Kevin Macdonalds Dokumentarfilm „Ein Tag im September“ aus dem Jahr 1999. Dieser entstand in Zusammenarbeit mit dem britischen Autor Simon Reeve, der ein Jahr später ein Sachbuch gleichen Namens in Romanform herausbrachte. Der Film verknüpft die minutengenaue Chronologie der Ereignisse mit der persönlichen Wahrnehmung von Angehörigen der Opfer. Exemplarisch hervorgehoben wird das Schicksal von Ankie Spitzer, der Frau des Fechttrainers Andre Spitzer. Die Dokumentation macht stark Gebrauch von Talking head-Interviews mit jenen Personen, die damals den Krisenstab bildeten. Es wird aber auch ein Interview mit dem letzten überlebenden Terroristen Jamal Al-Gashey geführt. Die Dokumentation spart die politischen Hintergründe des israelisch-palästinensischen Konflikts im Allgemeinen und des Anschlags im Speziellen größtenteils aus. Gleichzeitig versucht der Film, eine gewisse Objektivität zu wahren, indem er weder für die palästinensische noch die israelische Seite Stellung bezieht. Die zwei Hauptangriffsziele der Dokumentation sind die deutschen Behörden und das Internationale Olympische Komitee. Die Frage nach der Vorgehensweise der deutschen Behörden wurde in der Öffentlichkeit von Anfang an kontroversiell diskutiert. Die Dokumentation sieht ein totales Chaos und Versagen der Polizei und der Bundesrepublik Deutschland in der Krisensituation der Geiselnahme. Das Aufzeigen dieses Versagens setzt bereits bei der Betrachtung der laxen Sicherheitsvorkehrungen am Olympia-Gelände an. Den Krisenstab betreffend werden das Fehlen einer Anti-Terroreinheit in Deutschland und die übermäßig vielen Entscheidungsträger, die eine einheitliche Vorgehensweise erschwert hätten, kritisiert. Auch wird das Ausbleiben einer Zusammenarbeit zwischen Polizei und Militär bemängelt. Weiters wird Deutschlands Umgang mit dem Ausgang der Geiselnahme, die Abschüttelung jeglicher Verantwortung und die Freilassung der Geiselnehmer stark kritisiert. Dem Internationalen Olympischen Komitee wird vorgeworfen, die Geiselnahme nur als lästige Unterbrechung der Spiele angesehen zu haben. Die Einschätzungen der Dokumentation sind meiner Meinung nach sehr subjektiv von amerikanischen und israelischen Vorgehensweisen geprägt. Persönlich erscheint mir die wiederholte und starke Kritik an einem Land, dass nicht sofort das Militär für innenpolitische Probleme hinzuziehen wollte und nicht bereit war, mit Waffengewalt „um jeden Preis“ zuzuschlagen, sehr einseitig. Auch ist die von der Dokumentation vorgenommene Einstufung der kritischen Kommentare Zvi Zamirs, des damaligen Mossad-Leiters, als berechtigte Kritik an Deutschland angesichts der Rolle Zamirs im Zusammenhang mit etlichen Mordanschlägen höchst fragwürdig. Ein Punkt, den der Film ebenfalls stark betont, ist die symbolische Bedeutung Deutschlands im Zusammenhang mit der Tötung von Juden. Immer wieder wird darauf eingegangen, dass die israelischen Athleten sich in Deutschland einerseits unwohl gefühlt hätten, andererseits aber ihre Präsenz bei den Spielen bewusst betonen wollten. Dass Israelis dann auf einem deutschen Flugfeld starben – womöglich sogar durch deutsches Polizeifeuer –, habe eine immense negative Symbolwirkung gehabt.


Einen anderen Stellenwert hat das Attentat im TV-Mehrteiler „Gideons Schwert“ (1986) sowie in dessen Spielfilmremake „München“ (2005). Der Anschlag dient hier nur als Ausgangspunkt für die Operation Zorn Gottes. Beide Filme beruhen auf dem 1984 erschienenen Roman „Vengeance“ des ungarisch-kanadischen Autors George Jonas. Dieser erzählt die Geschichte des Mossad-Agenten Avner, der auf direkten Befehl von Ministerpräsidentin Golda Meir eine Gruppe von Agenten anführt, die als Rache für den Anschlag von München selbständig die Drahtzieher der Geiselnahme ausforschen und umbringen sollen. So töten sie verschiedene (vermeintliche) Hintermänner, die in Europa verstreut agieren. Das Hauptziel ihres Auftrags, Ali Hassan Salameh, der Planer der Münchner Geiselnahme, wird allerdings mehrmals verfehlt. Am Ende des Buches ist Avner nicht mehr von dem überzeugt, was er tut, und kehrt dem Mossad den Rücken.
Immer wieder wurde die von „Vengeance“ erzählte Geschichte als Fiktion abgetan. Der ehemalige Mossad-Chef Zwi Zamir betonte 2006 in einem Interview mit Haaretz, dass sich die Mossad-Einheit nicht wie im Buch beschrieben aus „Halbsöldnern“ zusammengesetzt und dass der angebliche Anführer Avner nie existiert habe. Auch habe es sich bei der gezielten Tötung von Mitgliedern und Organisatoren der Gruppe Schwarzer September durch den Mossad nicht um einen Racheakt für München sondern um vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Anschläge gehandelt. Jonas selbst behauptet dagegen wiederholt, dass die Geschichte wahr und ihm von der „Avner“ genannten Person erzählt worden sei.

Wie bereits das Buch „Vengeance“ ist auch die erste Verfilmung aus dem Jahr 1986 problematisch. Den vierteiligen Fernsehthriller „Gideons Schwert“ mit Steven Bauer und Michael York drehte der Regisseur Michael Anderson für den amerikanischen Fernsehsender HBO. Die Darstellung der historischen Ereignisse erfolgt sehr oberflächlich bzw. teilweise auch falsch. Die politischen Hintergründe dienen nur als unbedeutende Rahmenhandlung für die Agentenaction. Die Tatsache, dass es um einen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis geht, wird zu wenig herausgearbeitet; die Handlung wird aus ihrem weltpolitischen Zusammenhang gerissen. Bezeichnend dafür ist, dass der Film vorgibt, in den Jahren 1972/1973 zu spielen, die Kostüme und die Ausstattung aber teilweise die Entstehungszeit der Miniserie, die 1980er, reflektieren.

Die zweite Verfilmung „München“ entstand 2005 unter der Regie von Steven Spielberg mit Eric Bana, Daniel Craig, Geoffrey Rush, Mathieu Kassovitz, Ciarán Hinds, Mathieu Amalric und Michael Lonsdale. Der Film ist lose an die Romanvorlage angelehnt, beschreitet aber größtenteils neue Wege, da „München“ außer „Vengeance“ auch neuere Literatur zur Verfügung stand, die sich seriöser mit der Thematik auseinandergesetzt hatte. Hier wird die Geiselnahme von München zu Beginn des Films, teilweise anhand von Originalaufnahmen, kurz dargestellt. Rückblenden auf den Anschlag stellen immer wieder Bezüge zur aktuellen Handlung her. So werden beispielsweise parallel die Namen und Photos der elf ermordeten Israelis und jene von elf zu ermordenden Palästinensern genannt bzw. gezeigt. Während der Film anfangs sehr stark die israelische Position vertritt, wandelt sich diese Einstellung bis zum Ende in eine Frage nach Recht und Unrecht. In mehreren Dialogen werden die unterschiedlichen Auffassungen dieser Frage und des politischen Verständnisses dafür erläutert, während der Zuseher sich aussuchen kann, welche Position ihm am ehesten liegt. Spielbergs Film wurde in der Öffentlichkeit von verschiedenen Seiten angegriffen, da manche den Film zu Israel-unkritisch, andere zu Israel-kritisch sahen.


Was ist nun der Wahrheitsgehalt dieser Filme? Tatsächlich fanden Tötungsaktionen Israels statt, wenn auch nicht unbedingt in der von Jonas und den auf seinem Roman basierenden Filmen geschilderten Weise. Unter anderem lassen sich folgende Fakten festhalten: 1972 wurde die Mossad-Sondereinheit Caesarea damit beauftragt, verschiedene namentlich festgelegte palästinensische Funktionäre umzubringen. In der Öffentlichkeit wurde dieses Unternehmen Zorn Gottes genannt. Dies war aber keine offizielle Bezeichnung des Mossad. Die erste von Caesarea durchgeführte Liquidierung war jene von Wael Zwaiter in Rom. Die Bedeutung Zwaiters ist mehr als umstritten. Der Übersetzer von „1001 Nacht“ ins Italienische soll den Terrorismus selbst verurteilt haben, der Grund für sein Aufscheinen auf der Todesliste ist nicht ganz klar. Ähnliche Zweifel an der persönlichen Verwicklung mit Schwarzer September gibt es beim zweiten Opfer, Mahmoud Hamshari, dem Vertreter der PLO in Paris. Unter dem Namen Quelle der Jugend ist jene Operation 1973 bekannt geworden, bei der Caesarea gemeinsam mit einer Spezialeinheit des israelischen Militärs drei hochrangige PLO-Funktionäre, Abu Youssef, Kamal Adwan und Kamal Nasser, in Beirut tötete. An diesem Unternehmen war auch Ehud Barak, der spätere israelische Ministerpräsident und heutige Verteidigungsminister, als Soldat beteiligt. Die sogenannte Lillehammer-Affäre wurde zu einem großen Misserfolg des Mossad. Israelische Agenten verwechselten einen marokkanischen Kellner mit Ali Hassan Salameh und töteten somit einen Unschuldigen. In der Folge wurden sechs Agenten in Norwegen angeklagt und teilweise zu Haftstrafen verurteilt. Salameh wurde schließlich 1979 mit einer Autobombe in Beirut getötet. Hingegen überlebte Abu Daoud, der Kommandant von Schwarzer September, ein Schussattentat, das 1981 in Warschau auf ihn verübt wurde. In den 1980er-Jahren sind die Einsätze von Caesarea nicht mehr so leicht nachvollziehbar, doch dürfte die Einheit bis Anfang der 1990er-Jahre gewirkt haben.

Der internationale Terrorismus in seinen verschiedenen Facetten ist für uns leider zu einer traurigen Selbstverständlichkeit geworden. Vor 40 Jahren war dies noch nicht so. In München hat er seinen Ausgang genommen.

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