30. September 2012

The Greatest Films … Eine Nachlese

Im August präsentierte „Sight & Sound“ die Ergebnisse der alle zehn Jahre durchgeführten Umfrage nach den besten Filmen aller Zeiten. Allgemeine Beobachtungen dazu habe ich bereits an anderer Stelle gemacht. Zwei Monate später – ich habe nun fast alle Top-10-Filme (nochmals) gesehen – möchte ich zumindest kurz auf die einzelnen Filme eingehen; nicht in mustergültigen Rezensionen, sondern in sehr subjektiven Statements:

Platz 10: „Achteinhalb“ (1963, Federico Fellini)
Der einzige Film von den gesehenen, den ich mir nicht (noch einmal) in den letzten zwei Monaten angeschaut habe. Im Sommer vor einem Jahr habe ich eine ganz kleine Fellini-Retrospektive veranstaltet; von den gezeigten Filmen war mir „Achteinhalb“ der unzugänglichste. Es müssen wohl noch ein paar Jahre vergehen, bis ich ihn mir – vielleicht mit dann anderen Augen – wieder gebe.

Platz 9: „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ (1927, Carl Theodor Dreyer)
Gesehen bei einer Projektion ohne Musik im Österreichischen Filmmuseum. Dreyers Film hat mir gut gefallen, obwohl er gegen Ende einige Längen aufweist. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, was Stummfilme eigentlich so alles können. Interessanterweise empfand ich gerade das, was von vielen Kritikern meist positiv hervorgehoben wird, nämlich die Großaufnahmen der Mimik von Maria Falconettis Gesicht, als extrem anstrengend.

Platz 8: „Der Mann mit der Kamera“ (1929, Dziga Vertov)
Gesehen bei einer Projektion ohne Musik im Österreichischen Filmmuseum. Vertov zeigt dokumentarisch einen Tag in einer sowjetischen Großstadt. Ich hatte mir von dem Avantgardefilm erwartet, dass er keine leichte Kost sein würde, doch ich hatte einen höchst vergnüglichen Kinoabend. Natürlich hat man mit den Sehgewohnheiten des 21. Jahrhunderts leicht reden. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, wie revolutionär Vertovs vielfältig angewandten Techniken waren.

Platz 7: „Der Schwarze Falke“ (1956, John Ford)
Viel möchte ich über diesen Film nicht sagen. Es gibt meiner Meinung nach deutlich bessere Western, auch mit John Wayne. Warum „Der Schwarze Falke“ in dieser Liste auftaucht, erschließt sich mir nicht ganz.

Platz 6: „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968, Stanley Kubrick)
Kubricks Meisterwerk gefällt mir mit jedem Mal besser; empfand ich ihn früher zumindest bei den obligaten Stellen als etwas langatmig, ist der Film dies inzwischen für mich nicht einmal mehr zeitweise. Kaum ein Film ist wohl so sehr im kollektiven Gedächtnis verankert, obwohl ihn heutzutage die wenigsten noch wirklich gesehen haben. Auch abseits der ikonisch gewordenen Einstellungen und Szenen gibt es fast keinen Moment, der einen nicht packt und nicht mehr los lässt.

Platz 5: „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ (1927, F. W. Murnau)
Gesehen bei einer Projektion im Österreichischen Filmmuseum. Murnau komprimiert in seinen eineinhalbstündigen Stummfilm eine ganze Reihe von menschlichen Handlungsweisen und Emotionen: Betrug, Mordkomplott, Misstrauen, Furcht, Reue, Vergebung, Versöhnung, Freude, Verzweiflung, Erlösung. Das Melodrama ist perfekt, doch nicht nur wegen des Inhalts sondern auch wegen des umfangreichen Instrumentariums an unterschiedlichen Techniken.

Platz 4: „Die Spielregel“ (1939, Jean Renoir)
Ist meines Wissens weder auf DVD erhältlich, noch konnte ich irgendwo eine Projektion miterleben; somit muss ich mich eines Urteils enthalten.

Platz 3: „Die Reise nach Tokyo“ (1953, Yasujirō Ozu)
Der kulturelle Hintergrund von Ozus Familiendrama mag einem manchmal etwas fremd vorkommen, doch sind es universale Themen, die „Tokyo Story“ anspricht. Völlig unaufgeregt lässt der Film einen jeden über die eigene Beziehung zu seinen Eltern nachdenken. Ozu zeigt nichts Einzigartiges oder Außergewöhnliches, doch die Art seiner Erzählung ist meisterhaft.

Platz 2: „Citizen Kane“ (1941, Orson Welles)
Von den zehn Filmen ist „Citizen Kane“ derjenige, den ich bereits am häufigsten gesehen habe. Da ich mich inzwischen viel kritischer mit Filmen auseinandersetze, wollte ich auch Welles’ Erstling kritischer sehen – und doch musste ich feststellen, dass es bei „Citizen Kane“ immer noch mehr zu entdecken gibt. Wie geht man mit einem Film um, der seit einem halben Jahrhundert von der Kritik in den Himmel gehoben wird? Man sieht ihn sich einfach an und begreift.

Platz 1: „Vertigo“ (1958, Alfred Hitchcock)
Ich dachte, dass ein Wiedersehen von „Vertigo“ – ich glaube zum vierten Mal – mich die Entscheidung der S&S-Jury verstehen lassen würde. Doch wieder ist dies nicht gelungen; ich habe sogar das Gefühl, dass ich mit jedem Mal skeptischer werde. Hitchcocks Film ist ohne Frage ein guter – aber der beste Film aller Zeiten? Vielleicht braucht man tatsächlich die oft beschworene Weisheit des Alters, um „Vertigo“ zu lieben. In zehn Jahren versuche ich es noch einmal.


Möchte man schließlich noch ein Resümee ziehen, so könnte man die Frage stellen: Warum wurden gerade diese Filme zu den besten gewählt, während Filme jüngeren Datums überhaupt nicht aufscheinen? Wir tendieren häufig dazu, die Perfektion auf der Basis von bereits Vorhandenem als wichtigstes Kriterium für das Beste anzunehmen. Wenn man diese Filme gesehen hat, wird einem schnell bewusst, dass die Jurorinnen und Juroren der S&S-Umfrage eine andere Herangehensweise hatten (die jedoch nicht vorgegeben war!): Kriterium für ihre Bewertungen war ohne Zweifel die Neuheit der angewandten Techniken und Erzählformen. Das ist sicher nicht das schlechteste Kriterium. Ein Wehrmutstropfen ist jedoch, das sich so wohl auch in Zukunft in der Liste nicht viel ändern wird.

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