Im August
präsentierte „Sight & Sound“ die Ergebnisse der alle zehn Jahre
durchgeführten Umfrage nach den besten Filmen aller Zeiten. Allgemeine
Beobachtungen dazu habe ich bereits an anderer Stelle gemacht. Zwei Monate
später – ich habe nun fast alle Top-10-Filme (nochmals) gesehen – möchte ich
zumindest kurz auf die einzelnen Filme eingehen; nicht in mustergültigen
Rezensionen, sondern in sehr subjektiven Statements:
Platz 10:
„Achteinhalb“ (1963, Federico
Fellini)
Der einzige Film von den gesehenen, den ich mir nicht (noch
einmal) in den letzten zwei Monaten angeschaut habe. Im Sommer vor einem Jahr
habe ich eine ganz kleine Fellini-Retrospektive veranstaltet; von den gezeigten
Filmen war mir „Achteinhalb“ der unzugänglichste. Es müssen wohl noch ein paar
Jahre vergehen, bis ich ihn mir – vielleicht mit dann anderen Augen – wieder
gebe.
Platz 9:
„Die Passion der Jungfrau von Orléans“ (1927, Carl Theodor Dreyer)
Gesehen bei einer Projektion ohne Musik im Österreichischen
Filmmuseum. Dreyers Film hat mir gut gefallen, obwohl er gegen Ende einige
Längen aufweist. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, was Stummfilme
eigentlich so alles können. Interessanterweise empfand ich gerade das, was von vielen
Kritikern meist positiv hervorgehoben wird, nämlich die Großaufnahmen der Mimik
von Maria Falconettis Gesicht, als extrem anstrengend.
Platz 8:
„Der Mann mit der Kamera“ (1929,
Dziga Vertov)
Gesehen bei einer Projektion ohne Musik im Österreichischen
Filmmuseum. Vertov zeigt dokumentarisch einen Tag in einer sowjetischen
Großstadt. Ich hatte mir von dem Avantgardefilm erwartet, dass er keine leichte
Kost sein würde, doch ich hatte einen höchst vergnüglichen Kinoabend. Natürlich
hat man mit den Sehgewohnheiten des 21. Jahrhunderts leicht reden. Man muss
sich immer wieder vor Augen führen, wie revolutionär Vertovs vielfältig
angewandten Techniken waren.
Platz 7:
„Der Schwarze Falke“ (1956, John
Ford)
Viel möchte ich über diesen Film nicht sagen. Es gibt meiner
Meinung nach deutlich bessere Western, auch mit John Wayne. Warum „Der Schwarze
Falke“ in dieser Liste auftaucht, erschließt sich mir nicht ganz.
Platz 6:
„2001: Odyssee im Weltraum“ (1968,
Stanley Kubrick)
Kubricks Meisterwerk gefällt mir mit jedem Mal besser; empfand
ich ihn früher zumindest bei den obligaten Stellen als etwas langatmig, ist der
Film dies inzwischen für mich nicht einmal mehr zeitweise. Kaum ein Film ist
wohl so sehr im kollektiven Gedächtnis verankert, obwohl ihn heutzutage die
wenigsten noch wirklich gesehen haben. Auch abseits der ikonisch gewordenen
Einstellungen und Szenen gibt es fast keinen Moment, der einen nicht packt und
nicht mehr los lässt.
Platz 5:
„Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ (1927, F. W. Murnau)
Gesehen bei einer Projektion im Österreichischen Filmmuseum.
Murnau komprimiert in seinen eineinhalbstündigen Stummfilm eine ganze Reihe von
menschlichen Handlungsweisen und Emotionen: Betrug, Mordkomplott, Misstrauen,
Furcht, Reue, Vergebung, Versöhnung, Freude, Verzweiflung, Erlösung. Das
Melodrama ist perfekt, doch nicht nur wegen des Inhalts sondern auch wegen des
umfangreichen Instrumentariums an unterschiedlichen Techniken.
Platz 4:
„Die Spielregel“ (1939, Jean Renoir)
Ist meines Wissens weder auf DVD erhältlich, noch konnte ich
irgendwo eine Projektion miterleben; somit muss ich mich eines Urteils
enthalten.
Platz 3:
„Die Reise nach Tokyo“ (1953,
Yasujirō Ozu)
Der kulturelle Hintergrund von Ozus Familiendrama mag einem
manchmal etwas fremd vorkommen, doch sind es universale Themen, die „Tokyo
Story“ anspricht. Völlig unaufgeregt lässt der Film einen jeden über die eigene
Beziehung zu seinen Eltern nachdenken. Ozu zeigt nichts Einzigartiges oder Außergewöhnliches,
doch die Art seiner Erzählung ist meisterhaft.
Platz 2:
„Citizen Kane“ (1941, Orson Welles)
Von den zehn Filmen ist „Citizen Kane“ derjenige, den ich
bereits am häufigsten gesehen habe. Da ich mich inzwischen viel kritischer mit
Filmen auseinandersetze, wollte ich auch Welles’ Erstling kritischer sehen –
und doch musste ich feststellen, dass es bei „Citizen Kane“ immer noch mehr zu
entdecken gibt. Wie geht man mit einem Film um, der seit einem halben
Jahrhundert von der Kritik in den Himmel gehoben wird? Man sieht ihn sich
einfach an und begreift.
Platz 1:
„Vertigo“ (1958, Alfred Hitchcock)
Ich dachte, dass ein Wiedersehen von „Vertigo“ – ich glaube
zum vierten Mal – mich die Entscheidung der S&S-Jury verstehen lassen
würde. Doch wieder ist dies nicht gelungen; ich habe sogar das Gefühl, dass ich
mit jedem Mal skeptischer werde. Hitchcocks Film ist ohne Frage ein guter –
aber der beste Film aller Zeiten? Vielleicht braucht man tatsächlich die oft
beschworene Weisheit des Alters, um „Vertigo“ zu lieben. In zehn Jahren
versuche ich es noch einmal.
Möchte man schließlich noch ein Resümee ziehen, so könnte
man die Frage stellen: Warum wurden gerade diese Filme zu den besten gewählt,
während Filme jüngeren Datums überhaupt nicht aufscheinen? Wir tendieren häufig
dazu, die Perfektion auf der Basis von bereits Vorhandenem als wichtigstes
Kriterium für das Beste anzunehmen. Wenn man diese Filme
gesehen hat, wird einem schnell bewusst, dass die Jurorinnen und Juroren der
S&S-Umfrage eine andere Herangehensweise hatten (die jedoch nicht
vorgegeben war!): Kriterium für ihre Bewertungen war ohne Zweifel die Neuheit
der angewandten Techniken und Erzählformen. Das ist sicher nicht das
schlechteste Kriterium. Ein Wehrmutstropfen ist jedoch, das sich so wohl auch
in Zukunft in der Liste nicht viel ändern wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen