Den drei CDs umfassenden Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross im CD-Player, lasse ich mir die letztwöchige Vorstellung von David Finchers „Verblendung“ zum wiederholten Male durch den Kopf gehen. Ich bin unschlüssig. Möglicherweise war es doch ein Fehler, mir die ältere schwedische Verfilmung des Stoffs zur Vorbereitung anzusehen („Verblendung“ (2009, Niels Arden Oplev); siehe meine Rezension vom 16. Januar 2012). David Fincher ist einer meiner absoluten Lieblingsregisseure. Einige Freunde von mir haben mir ihre große Begeisterung über den Film kundgetan. Aber ich bin noch immer unschlüssig.
Das Problem ist, dass Oplev und Fincher zwei ähnliche, aber doch ganz unterschiedliche Filme präsentieren. Den den Filmen zugrundeliegenden Roman habe ich nicht gelesen, aber trotzdem erkenne ich, dass Finchers Film einige Plotabwandlungen vorgenommen hat.
Der wegen Verleumdung verurteilte Aufdecker-Journalisten Mikael Blomkvist (Daniel Craig) wird vom Unternehmer Henrik Vanger (Christopher Plummer) angeheuert, um das Jahrzehnte zurückliegende Verschwinden von dessen Nichte Harriet aufzuklären. Blomkvist beginnt, über die untereinander zerstrittene Familie Vanger, deren Unternehmen inzwischen von Harriets Bruder Martin (Stellan Skarsgård) geleitet wird, zu recherchieren. Unterstützt wird er bald auch von der jungen Hackerin Lisbeth Salander (Rooney Mara), die ein Mündel des Staates ist und als Aussteigerin lebt.
Zu behaupten, dass Fincher die Geschichte aus Schweden nach Hollywood entführt hat, wäre übertrieben, aber in der Antithese erkenne ich plötzlich umso mehr, was ein „skandinavischer“ Film wirklich ist bzw. was einen solchen ausmacht. Finchers Schauplätze sind weniger karg, weniger kalt und weniger isoliert. Erzählerisch ist der Fokus verschoben, was schon durch die Originaltitel erkennbar wird. Während der schwedische Titel von Buch und Film, „Män som hatar kvinnor“ („Männer, die Frauen hassen“), auf ein Sittenbild verweist, lenkt der englische Titel „The Girl with the Dragon Tattoo“ unseren Blick auf die weibliche Hauptperson Lisbeth Salander.
Das Schicksal Salanders nimmt bei Fincher viel mehr Platz ein – und das, obwohl nicht viel mehr als im Original erzählt wird. Dementsprechend dauert es erstaunlich lange, bis Salander und Blomkvist einander begegnen. Positiver Effekt ist dadurch jedoch, dass letzterer mehr Möglichkeiten hat, sich recherchierend zu profilieren, und nicht mehr nur wie ein dummer Schulbub von Salander auf die richtigen Lösungen gestoßen werden muss. Insgesamt bedeutet dies aber auch, dass der Film viel von seinem detektivischen Plot verliert. Während die Zuschauer beim Originalfilm viele der langsamen Denkprozesse noch miterleben konnten und so selbst zu Detektiven wurden, werden sie nun von den handelnden Personen mitgerissen. Überraschend ist, dass es Fincher weniger als Oplev gelingt, ein gruseliges Porträt der Familie Vanger zu zeichnen. Demgegenüber ist die Auflösung des ursprünglichen Rätsels zwar immer noch leicht unbefriedigend, doch zumindest ein wenig überzeugender als im Original.
Ist Finchers „Verblendung“ wegen all dem Genannten ein schlechterer Film? Nein, keineswegs. Aber ich bin noch immer unschlüssig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen